Short Cuts von Borcholte, Feyer, Lau & Ziemer
FORMIDABEL
„This is not a memento, this is a gig.“ So steht es geschrieben im Booklet von „Preston 28 February 1980“ (New Millennium/EFA), und natürlich ist dieses Konzert von JOY DIVISION, wenige Monate vor Ian Curtis‘ Tod, doch ein Memento mori, unterirdisch aufgenommen, voll technischer Mängel, monoton und karg. Aber was für ein Sog! Curtis wollte John Cale sein und klingt wie der letzte aller Gruftis, dabei hatte er sie gerade erfunden. Der Saal war fast leergespielt, ab Joy Division „She’s Lost Control“ brachten. Alles dräut, und alles schmerzt. Ein gespenstisches Dokument.
Wer JON DEE GRAHAM ins „Summerland“(Glitterhouse/TIS) folgt, der bucht die ersten fallenden Blätter schon mit Auf dem zweiten Album des gefragten Session-Gitarristen (Kelly Willis) liegt die Melancholie fingerdick über Songs wie „Half The Time“ und „Look Up“ (Gast-Stimme: Patty Griffin), ja selbst über der Santana-Reminiszenz „At The Dance“. Das akustische „Butterfly Wing“ klingt nicht nur des ähnlichen Timbres wegen wie ein Tom-Waits-Outtake. Nostalgiker freuen sich auf ein Remake des alten True Believers-Songs „Lucky Moon“ – der Rest auf ein Roots-Album mit vielen Zwischentönen, dem nur in der zweiten Hälfte etwas die Puste ausgeht Nachdem sich der jamaikanische Gitarrist ERNEST RANGLIN in den letzten Jahren schon mit einigen exquisiten Alben zwischen Reggae und Jazz einer neuen Generation vorstellte, wird jetzt auch seine Vergangenheit verfügbar gemacht: Auf „Now Is The Time“ (Motor) gibt es die besten Aufnahmen der Alben, die er in den 70er Jahren mit dem Pianisten Monty Alexander für das deutsche Jazz-Label MPS einspielte. Die Bandbreite reicht von hitzigen Karibik-Knallern bis zu eher intellektuellen Duo-Interpretationen alter Hits, doch Rangün verschmilzt mit seinem prägnanten Gitarrenstil alle Stile zum „Ranglypso“ (so der Titel einer LP). Großer Gitarrist, unbedingt anhören!
AKZEPTABEL
Wenn es einen Preis für den abwechslungsreichsten Stumpfsinn gäbe, hätten PRAM ihn längst bekommen. Erst recht für „Telemetric Melodies “ (RTD) einer Sammlung von Aufnahmen, die 1998 vor dem letzten regulären Studio-Album der Briten entstanden: viel Gefiepe und Gepfeife, anschmiegsame Bässe, sprudelnde Electro-Percussion und, immer wieder, tiefe Griffe in ein Faß ohne Boden mit obskuren Sounds versuchen eine schlichte Tatsache zu überspielen: Die um trockene Melodiefragmente arrangierten Tracks (von Songs kann man kaum sprechen) sind einfach langweilig. Klingen aber echt gut.
Schlau, schlau, der kleine Mann mit der Halbglatze. PHIL COLLINS wollte sich einen lange gehegten Traum erfüllen und gründete eine echte Big Band mit Phil Collins als Bandleader am Schlagzeug. Nicht am Mikrophon, welch Glück. Fast wie einst bei Genesis, nur nicht so progressiv. Es jazzen und swingen auf „A Hot Night In Paris“(WEA) hinreichend bekannte Collins-Nummern wie „Sussudio“, „Hold On My Heart“ oder „Against All Odds“, als hätte es sie als Plastikpopbonbons oder Schmalzkuchen nie gegeben. Selbst Genesis-Machwerke wie „Invisible Touch“ erstrahlen (jawohl) mit ihrem bläserlastigen Sound in neuem Glanz. Das beste Stück der Live-Aufnahme aus dem letzten Jahr ist jedoch mit Abstand eine zwölfminütige Version von „Pick Up The Pieces“, und das stammt bekanntlich nicht aus Phils Feder.
Das abgedroschene Prädikat „Outlaw“ wird nicht mal mehr dem Gesichtswrack CALVIN RUSSELL gerecht An musikalische Gesetze hat sich der Neu-Schweizer (die Liebe!) aus Austin ja ohnehin gehalten. Für „Sam“ (SPV) diktierte allerdings Maestro Jim Dickinson die Paragraphen, führte Russell weg von stoischer Rock-Schaffe, hin zu konzentriertem Songwriting, rumpelndem „Texas Bop“, gar einer schlüssigen Version von „Somewhere Over The Rainbow“. Die vielbeschworene Memphis-Magie will sich indes nur bedingt einstellen, unbedingt aber beim dunkel-schimmernden Arrangement für Townes‘ „The Hole“, das glatt aus Dylans „Time Out Cy MW-Session stammen könnte. Wir übertreiben an dieser Stelle absichtlich ein wenig. Lesen Sie demnächst mehr über den Gezeichneten in dieser Zeitschrift.
GEORGE THOROGOOD vertraut nicht mal mehr Bruder und Vater, wenn es um die eigene Braut geht! Anvertrauen darf man sich dem „Delaware Destroyer“ immer noch, wenn’s satter Blues/Soul-Rock mit Slide-Breitseite sein solL Auf „Half A Boy, Half A Man“ (SPV) – Titelsong: Nick Lowe – wildert der Gitarrist routiniert im Repertoire der üblichen Verdächtigen und setzt diesmal etwa Chuck Berrys „Hellbound Train“ aufs rechte Gleis. Dennoch altbacken.
Während das Pop-Phänomen Diversifikation die Genres in mikroskopische Einzelteile zerreißt, findet auf der Compilation international“ zusammen, was möglicherweise wirklich zusammengehört: Fettes Brot, Grönemeyer, Merricks oder Die Sterne. Alle Stücke sind Remixe – und der Name des Labels, Lounge Records, ist dabei Programm: lässige Musik zum Mitwippen, Kopfnicken oder Rumräkeln; wer möchte, darfauch dazu tanzen. Easy-Listening-Größen wie Le Hammond Inferno, Peter Thomas oder Millenia Nova geben mit ihren Bearbeitungen den Stücken etwas angenehm Verspieltes, Heiteres.
INDISKUTABEL
Wer eine notorisch verhallte, wimmernde Frauenstimme für exotisch, romantisch oder gar tiefgründig hält und sich auch nicht daran stört, wenn dieses Vokal-Opium stets von valiumfarbenen Keyboard-Bahnen unterlegt ist, wird mit der Best-Of-Sammlung „Moonsung“ (Virgin) von SHEILA CHANDRA viel Freude haben.
Braucht noch irgend jemand halbwegs aktuelle Konzerteindrücke von ROGER CHAPMAN? Es war jedenfalls in jeder Hinsicht ein weiter Weg vom Family-Hit „The Weaver’s Answer“ bis zum Mike-Oldfield-Dröhner „Shadow On The Wall“ – beide vertreten auf „In My Own Time“ (SPV), das Chapmans Schaffen mit gerade mal 13 Songs und spärlicher Doppel-CD-Laufzeit (gut 80 Minuten) nachzeichnet Zwei Cover sind dabei: Ashfbrd & Simpsons Jxt’s Go Get Stoned“ (vergeigt) und Merle Travis‘ „16 Tons“ (samt Duett-Partnerin greulich vergeigt). Chapeau, Chappo.