Short Cuts von Hüttmann, Feyer, Schlüter, Ziemer
FORMIDABEL
Umbruchzeiten lassen der menschlichen Natur keine Zeit fürs Versteckspiel. Dachte DAVID OLNEY und tankte für „Through A Glass Darkley“ (Philo/In-Akustik) unter anderem Inspiration zwischen 1. Weltkrieg und Great Depression. Der (fast) letzte Existenrialist von Nashville zerrupft den Mythos des Gangsters „Dillinger“ und spürt in »1917″ letzten Begegnungen nach (zwischen Soldat und Hure). Etlicher dunkler Sujets zum Trotz ein ebenso erhellender wie erhabener Zyklus, nicht zuletzt wegen des exquisiten Backings, das zwischen Bluegrass und Kammer-Folk schillert. Dem langjährigen Weggefährten Townes Van Zandt huldigt er mit dessen „Snowin‘ On Raton“ und dem eigenen „Suicide Kid“ zweimal auf höchstem Niveau.
Mit „Man Vs. Beast“(Blue Rose) legt TROY YOUNG CAMPBELL, einst (eine) Stimme der Loose Diamonds, das typische Solo-Album eines Ex-Band-Musikers vor. (Viel) weniger Rock, mehr Kontemplation, auch der Mut zu ein paar kleinen Experimenten. Die Stimmung ist intim, doch nie kuschelig. Dafür lugen in Songs wie „These Days“ zuviele kleine Dämonen hervor die Campbell mit seiner sanft brechenden Stimme zu besänftigen sucht.
Kakophonisch sollen MUMBLE & PEG gewesen sein bei früheren Auftritten. Auf ihrem zweiten Album „This UngodlyHour“ (Nois-o-lution/EFA) bringen die Kalifornier ihre Dissonanzen jedenfalls zurück zu den Rockwurzeln aus Blues und Country und zu einer sinistren Stille schönster Vferzweiflungspoesie. Weißes Rauschen dringt durch dunkle Arrangements, aus deren vermeintlichen Kargheit sie mit konzentrierter Kraft und bedachter Dramaturgie erhebende Songs erspielen, die von der Mitte des Albums an überraschend von der beschwingten Sanftmut traditionalistischer Trauerlieder durchflutet werden. „Zero times itself in a drywall cell complains/ I just think myself in circles“, heißt es im ersten Stück „Circles“ – und mit monotoner Melodiösität frösteln auch die schleppend-scheppernden Instrumente; ähnlich Three Mile Pilot, fast so beseelt wie Mother Tongue und weniger glamourös als die Smashing Pumpkins. Ein Katharsis-Ritt.
Smudo wollte sie für sein Label haben, doch schließlich entschieden sich EINS, ZWO für ihren Stammtisch mit Fettes und Fünf Sterne delluxe bei Yo Mama. Mit sparsamen Beats und knapp eingeflochtenen Melodien bereitet DJ Rabauke auf ihrem Debüt „Gefährliches Halbwissen“ ein ungemein funkiges Parkett, über das Rapper Dendemann nahtlos rhythmische Reime tanzen läßt, als steppe Fred Astaire auf seiner Zunge. Doch nicht nur „Danke, gut“ ist fast zu gut für hiesige Hörer.
DAUERFISCH kommen, um sich zu beschweren, und zwar wegen des „uninspirierten Gestammels“ der Musikkritiker (gähn!) zu ihrem letzten Album (das niemand mehr erinnert). Die Litanei der beiden beleidigten Besserwisser ist bezeichnend für obsessive Zitatund Sammel-Elektroniket Als „Crime Of The Century“ (Bungalow) häufen sie wundersame Geschmacklosigkeiten der vergangenen Jahrzehnte an, daß eben nur noch Assoziationen helfen: Nierentisch-Schlager, Shalala-Trash-Pop, Bossa-Nova-Geschunkel, Orchester-Tingeltangel, Plastik-Girlie-Pop, Referenzen an oder aus Soundtracks wie im Stück „I’m On Fire“, das durchaus Peter Thomas nahe kommt oder an Karl-May-Verfilmungen gemahnt, „och, menno!“ Auch diese Platte ist bald vergessen, aber allemal herrlich.
AKZEPTABEL
„Valence Street“ (Sony) beschert den NEVILLE BROTHERS die dritte (oder vierte?) Karriere-Chance -Wyclef Jean sei Dank, der auch gleich noch mal ran darf an seine „Mona Lisa“. Die „First Family Of New Orleans Music“ hat zwar nicht nur im gleichnamigen Song den „Real Funk“ im Visier, zielt aber zwischen Charles‘ Jazzund MOR-Ambitionen und Aarons Pop-Schmonz schon mal daneben.
Aus der Stuttgarter Kolchose stammend, haben sich MASSIVE TÖNE nun einem Major angeschlossen. „Überfall“ (eastwest) ist variabler, sehr melodiöser, funkiger HipHop, dennoch nicht gänzlich entwaffnend, was an den eher mäßigen Raps zu liegen scheint.
Diesen alten Knaben kann so bald niemand den Preßlufthamer reichen: Auf „Ravvivando“ (Klangbad/Indigo) wüten FAUST wie zu besten Krautrock-Zeiten. In England hatten die Hamburger damals fast Popstar-Status, und mit Mike Oldfield waren sie die ersten Künstler auf dem Virgin-LabeL Heute besteht die Band nur noch aus zwei Gründungsmitgliedern, der Wille zu extremen Sounds aber ist geblieben: Eine wilde Collagenmusik, bei der sich nachvollziehen läßt, warum gerade Blixa Bargeld von Faust begeistert ist.
Einer Seite des Krautrock nahe stehen auch TO R0C0C0 ROT, ein Ensemble, das zuweilen bei Tarwater und Kreidler tätig wird. Auf „The Amateur View“ (City Slang) entfalten sie aus warmen, weichen Melodien sphärische Sounds und suggestive Schlaufen, als werfe jemand einen Stein ins Wasser.
COUCH aus München trauen sich was: Ihr drittes Album heißt allen Ernstes „Fantasy“ (Kitty-Yo). Und wer jetzt an Mike Oldfield oder Krautrock denkt, der liegt gar nicht so falsch. Gesungen wird nicht, statt dessen machen Gitarren und Computer die Sache unter sich aus. Und verstehen sich bestens. Ihre harmonisch blubbernden Tracks spenden Kontemplation und mögen vorübergehend in der Lage sein, aus bösen Menschen sanfte Menschen zu machen. Der ideale Ort für die Rezeption ist übrigens tatsächlich das Sofa. Dann ist diese Platte das Kissen.
Noch weiter im Süden, im österreichischen Linz, wirken SHY. Die legen Wert darauf, sehr ungemütlich zu sein. Vor allem politisch. Das Beiheft von „Comprendre?“(Day-Glo) ist zwar keine Bleiwüste wie bei Blumfeld, die Parallele zum Hamburger Schulhof aber drängt sich unabweisbar auf: Andreas Krump singt zu Sterne-Funk-Pop über sich selbst, das System und die ewige Sinnfrage. Auch wenn Shy nicht den Deutschrock neu erfinden, so haben sie doch die richtigen Referenzen.
POTHEAD machen auf „Fair Ground“ (BMG) viel Lärm um nichts, manchmal sämig-dunkle Balladen oder Ska. Wie sagt man: Der solide Metal-Rock der Amerikaner in Berlin hat ja seine Fans. Top 20 (bis übermorgen)!
INDISKUTABEL
Wer nichts mehr zu lachen bat, sieht sich die wüsten Metal-Performance-Parodien von KNORKATOR an. Auf „Hasenchartbreaker“(Mercury) hört sich dieser Zitaten-Witz und -Mumpitz noch schauriger an.