SHORT CUTS von Hüttmann & Willander

FORMIDABEL

Eine Hoffnung glimmt für den Nachwuchs: MARCIA PLAYGROUND sind Amerikas letztes Aufgebot bei dem Versuch, den Mainstream noch einmal mit Pop-Sensibilität jenseits von Weicheiern wie Counting Crows, Live und Matchbox 20 auszustatten. Ihr Debütalbum (Capitol/ EMI) läuft überall im Radio – und ist doch kein populistischer Unfug. Songschreiber John Wozniak erweist sich als veritables Talent. Er hat die Lektionen von R £ M., Nirvana und eels gelernt, setzt sie aber angenehm dezent ein. Vor allem kraftmeiert diese Musik nicht – akustische Gitarren und feine Harmonien halten Rockismen fern.

Musikalisch wenigstens altert NICK HEYWARD nicht. Der Britpop-Veteran kann gar nicht anders, als liebliche, linde Lieder in gefällige Streicher-Arrangements zu verpacken. Auf „The Apple Bed“ (Sony Music) sind bessere Songs als bei Oasis, aber fest keine Gitarren. Er weiß es noch nicht, doch Wolfgang Doebeling wird diese Platte nicht mögen.

AKZEPTABEL

Folk-Altvater PETE SEEGER wird mit einer Sammlung geehrt, die zu seinen Arbeiten paßt: Die üblichen Verdächtigen, also Jackson Browne, Bonnie Raitt, Peter, Paul & Mary, Cordelia’s Dad, Indigo Girls, Donovan, Bruce Cockburn und die wunderbare Tish Hinojosa, sogar Bruce Springsteen und Ani DiFranco, leider aber auch die Pfeife Reinhard Mey (auf französisch) interpretieren Seegers Evergreens auf „Where Have All The Flowers Gone – The Songs Of Pete Seeger“ (Wundertüte/BMG). Ein Doppel-Album, hübsch ausgestattet und redlich. Vom Täufer Pete Seeger führte der Weg zu Jesus Bob Dylan, von den „Flowers“ zu „Blowin‘ In The Wind“ und zum Newport Folk Festival, und dann kam die elektrische Gitarre, und Seeger war Geschichte.

Neu aus Nordengland: GOMEZ musizieren wie alte Rock-Hippies oder Pearl Jam ohne Plan, aber Titel wie „Whippin‘ Piccadilly“ und vor allem „Love Is Better Than A Warm Trombone“ retten „Bring It On“(Virgin). Die Songs sind ansonsten unbritisch.

Von K’S CHOICE aus Belgien hat niemand Wunderdinge erwartet, aber „Cocoon Crash“ (T Music/Sony) ist eine Verbesserung. Ihre Songs klingen zwar wie von der Stange – immerhin hängt kein Plunder daran. Hübsch gesungen, kompetent gespielt, und Balladen gibt es auch. Erwachsen.

Die Plattenfirma empfiehlt, SENSORAMA als die „deutschen Air“ zu apostrophieren. Das wird dem Darmstädter Duo nur annährend gerecht, aber Ähnlichkeiten sind ja nie auszuschließen, zumal ihr Name luftig klingt wie der von Margarine oder weltraumerprobter Zahnpasta. Gebrauchsmusik, jedoch der dritten Art. „Love“ (Ladomat 2000) ist ein Notebook in Zeiten des Easy Listening, worunter gemeinhin das Hintergrundgesäusel in Fahrstühlen, Bars und aus Kinofilmen verwurschtet wird. Ihre Songs heißen daher auch „Aeroplane City“, „Starescalator“, „Sunday Morning Superstar“ oder „Clubsnow“, und diese Analogie zu den schwelgerischen Synthesizern und pittoreskem Pianokitsch ist etwas zu simpel und stereotyp wie das stete Scharren und Knarzen dabei, als klopfe jemand auf das Mikrophon. Sensorama schaffen, um im Bild zu bleiben, eine melancholische Sterilität und meditative Surrealität wie menschenleeren Gängen von Flughäfen und Supermärkten. „Love“ könnte, und so sind wir wieder bei Air, der Score zum neuen französischen Liebesfilm sein. Aber der muß noch erfunden werden.

Viele mag’s nicht interessieren, aber IAN GILLAN hat mit „Dreamcatcher“ (Ark 21) trotzdem ein Album aufgenommen, das ihn als tanzwütigen Iren präsentiert sowie als nachdenklichen Träumer mit einem Brief an den toten Vater. Putzig und tröstlich.

Kurz gelacht haben wir bei THE DANDY WARHOLS, die ihren Retro-Trash konsequent mit Trash-Titeln ankündigen: „Not If You Were The Last Junkie On Earth“ und „Hard On For Jesus“ poppen, doch der Rest auf „The Dandy Warhols Come Down“ (Intercord) ist entbehrlich.

Die Plattenfirma war sicherlich entsetzt: Statt des ersehnten Hits gibt die DAVE MATTHEWS BAND ihren weltbeseelten Akustik-Rock auf dem dritten Major-Album „Before These Crowded Sheets“ (RCA/BMG) immer wunderlicher und ausschweifender. Bis in den Orient greift der musikalische Kosmos des exilierten Südafrikaners. Die Single „Don’t Drink The Water“ macht es nicht unter sieben (!) Minuten, der Rest auch kaum. Da dürfte selbst die „guest appearance“ von Alanis Morissette (in „Spoon“) nicht helfen, die des Kronos Quartet sowieso nicht.

Die Rheinberger LOVELESS SONS bemühen sich redlich, „Rock, Country, Folk und Grunge zu verbinden, als wären sie zwischen L.A. und N.Y. großgeworden und nicht im Niemandsland deutscher Kleinstädte“, ist im Beizettel zu „Greedocaine“ (Sub Zero Records) zu lesen. Zu hören sind fast alle beliebten Beliebigkeiten (einige sogar recht gelungen entlehnt) des Mucker-Mainstream – nur kein eigener Akzent.

MISERABEL-h/3>

Wenn Jürgen von der Lippe bei „Geld oder Liebe“ zum Promotion-Vortrag für seine Gäste ausholt, ist höchste Vorsicht geboten. Lippes biederer Geschmack und seine minutenlangen Vorreden kündigen Meisterwerke an – es folgt Konfektion und Schlimmeres. Bei den „vier Studiomusikern“ und „tollen Songschreibern“ DAKOTA MOON (Eastwest) fördert er wiederum gelackten Schmus mit schollernden Gitarren und dem üblichen Schöngesinge, dazu Textsülze, die Steine erweicht.

Auftragsgemäß geben wir Nachricht vom fortdauernden Schaffen des SHANE McGOWAN. „The Crock Of Gold“ (SPV) ist leider wieder ein Trauerspiel, von dem Shane sich vielleicht eine Zahnkrone kaufen kann.

Die Rembrandts waren eine Heimsuchung, DANNY WILDE AND THE REMBRANDTS sind eine Katastrophe. „Spin This!“ (Eastwest) enthält Songs wie „Shakespeare’s Tragedy“, „Eloise“ und „This Close To Heaven“ und klingt auch so. Do not spin!

BERNARD BUTLER ist der Abtrünnige von Suede, der mit McAlmont nichts Gescheites zusammenbrachte und jetzt wieder theatralisch seine Gitarre jubilieren läßt. „People Move On“ (Sony Music) ist sogar für Butlers Verhältnisse mit monströsem Kitsch überfrachtet und klingt manchmal unfaßbarerweise wie die späten Pink Floyd. Mit einem alten Dichterwort:

Even the Butler hos something to prove.

Lange Zeit herrschte Flaute, dann hörte er Rammstein, tat sich mit Wolfsheim-Musikus Peter Heppner zusammen und raunzte auf einem Gruft-Label „Die Flut“. JOACHIM WITT hatte wieder einen Hit. Der Zeitgeist-Surfer griff sich für „Bayreuth I“ (Epic/ Sony Music) alles, was dumpf ist: Wagner, Apokalypse-Kitsch, Maschinen-Märsche, Gegrunze, Millenniums-Hysterie, Teutonentum. Die Pest.

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