Short Cuts :: VON JOACHIM HENTSCHEL

Desert Hearts – Let’s Get Worse (ROUGH TRADE/SANCTUARY)

Historische Korrektur: Schrammel-Pop war Nibbel-Pop. Die Gitarristen von My Bloody Valentine, Ride, Slowdive und den Drop Nineteens haben selten geschrammelt, lieber auf einer Saite genibbelt, am liebsten nur auf einem Ton. Gelegentliche Gewitter, gegen die mit Rehaugen und Milchbärten angewispert wurde, fielen damals (späte Achtziger/frühe Neunziger) noch nicht unter die Laut-Leise-Dienstvorschrift, weil Nirvana und Bush zu unbekannt waren. Die Desert Hearts aus Belfast spielen diese verlorene Musik so kleinteilgetreu, dass jedes allgemeine Stilmerkmal zum Band-Charakteristikum wird. Unbefleckte elektrische Gitarren, der Sound der Unschuld. Kopf hoch, shoegazer! 3,0

Buffalo Daughter – I (EMPEROR NORTON/EFA)

Die burschikose T-Shirt-Phase hat das Abenteuer-Pop-Trio aus Japan hinter sich, jetzt (nachdem die zwei Sängerinnen beim letzten Air-Album mitgemacht haben) tragen Buffalo Daughter weiß und orientieren sich in Richtung Cyberspace. Klingt aber alles wie bisher, als ob sie zwischen Abrock-Abteilung und EDV-Raum hin- und herhetzen, Camp-Memory mit süßlichem Lala, beschwipsten Stehgeigern, Asia-Metal und den üblichen Fußangeln: Naturklänge, Gitarren und so, setzen sie so mechanisch wie möglich ein, im Gegenzug sollen die Maschinen Seele zeigen. Dieser Robotergesang – das sind, hihi, natürlich sie selbst, die kleinen Schelme. 2,5

Bazooka Cain Here Come The Days Of Bazooka Cain (APRICOT/EFA)

Weniger urban kann eine Popgruppe kaum klingen, wenn sie in Hamburg wohnt und im weitesten Sinn Soul spielt. Die blue fcoy-Variante eben, Musik, zu der man sich eine bretonische Fischermütze aufsetzen und mit den Füßen im Gluckerbach baumeln sollte. Es ist Bazooka Cain nicht anzuhören, wieviel harte Arbeit es ist, die Gitarren so waldfrisch klingen zu lassen, die Bläser so sonntagmorgenlind. Der Sänger gibt achselzuckend zu: „Ich leide wieder mal am Glück“- Zeit für Cafe latte. 3,0

Earl Zinger – Put Your Phasers On Stun, Throw Your Health Food Skyward! (K7)

Der lustige Onkel des Monats ist Rob Gallagher, Ex-Sänger der ganz guten britischen Hippie-Hopper Galliano. Als Nachtschatten-Superheld Earl Zinger hat er ein dreiviertelstündiges Hörspiel gemacht, mit imaginärem Publikum, einer Dub-Version von Blurs „Song 2“, Stücken aus Sessions, die nur in seinem Hirn stattgefunden haben, Rumba, Rap, Latin, Jazz. Crooner, Schleimer, schwerer Bruder. Heiteres für den Heimweg. 2,5

Fly Pan Am – Ceux Qui Inventent N’Ont Jamais Vécu (CONSTELLATION/INDIGO)

Experimentelle Musik mit allen elektronischen und nicht-elektronischen Mitteln, mit Tonbandschleifen und Geklingel, mit Krautrock-Passagen, für die man Tortoise heute knutschen würde, und vielen Strecken, die ein starkes Gebiss erfordern. Roger Tellier-Craig, Gitarrist der Band aus Montreal, spielt auch bei Godspeed You Black Emperor! Fly Pan Am sind nicht so meditativ, mit sämtlichen schönen und bösen Konsequenzen. 3,0

Michy Reincke – Seeler (EDEL)

Ex-Felix De Luxe-Sänger Michy Reincke ist in Hamburg (wie die Kirchen und Kindergärten) eine Institution. Für Lebensmomente, in denen man sich lieber Kakao als Kaffee bestellt, spielt er den passenden Pop, mit Ikea-Gitarren und netten Sprüchen. Die Gutgelauntheit lässt jedoch selbst dem größten Blumenfreund irgendwann die Heckenschere in der Tische aufgehen. Klingt wie… Pur? Das haben jetzt Sie gesagt. 1,5

Mardi Gras.bb – Zen Rodeo (BOUTIQUE/UNIVERSAL)

Wenn der Mannheimer Arzt Dr. Wenz sich als Voodoo-Medizinmanns nicht so irre lustig finden würde, wäre das dritte Album seiner Blaskapelle ein weniger getrübter Spaß. Sie spielen ja nicht nur Crocodile Dundee und New-Orleans-Beerdigung, sondern auch Chicago-Gangster, Stripclub und Reggae. Kaum Sülz, viel Geschepper. 2,5

Tigerbeat – No.1 (EXILS ON MAINSTREAM/EFA)

Mal wieder explodiert der Blues, dieses Mal in Hamburg, in der bewährten Band-Besetzung ohne festen Bass, mit angriffslustig aufgeworfenen lips und sich schüttelnden hips. Die Design-Idee leuchtet ein, das Ding tut, was es soll (rocken und ein klein wenig ausnippen). Schöner wäre es, wenn der Tigerbeat die Opfer geschickt umgarnen und dann wollüstig anspringen würde, 2,0

Glen Matlock And The Philistines – Open Mind (PEPPERMINT/EDEL CONTRAIRE)

Glen Matlock, rechtzeitig gefeuerter Sex-Pistols-Bassist, der Pete Best des Punk? Nein, er hat Tantiemen für die Songs bekommen, Ruhm mit den Rich Kids, den Reibach der Pistols-Reunion. Mehr verdient er nicht, nicht für diesen bräsigen, latent altklugen good-time-Rock, der gleich noch klassisch klingen will und es – alle Achtung – sogar schafft. Wie die Klasse von 1984 allerdings. 1,0

Yeah Yeah Yeahs – (WICHITA/EFA)

Mini-Album von den jungen New York-New-Wave-Monstern. Rasiergitarre und eine Sängerin, die Lippenstifte frisst. Ein Fiebertraum. 3,5

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