SHORT CUTS :: VON JÖRG DOEBELING

FORMIDABEL

Im September geben sie ihr Major-Debüt. Die Wartezeit bis dahin versüßen HAZELDINE mit dem Mailorder-only Album „Orphans“ (All Swoll/Glitterhouse), das nebenbei auch die löurkasse auffüllen hilft Zehn Coverversionen disparater Herkunft legen beredt Zeugnis ab von Weitläufigkeit und Geschmackssicherheit der Band aus New Mexico. Das Spektrum reicht von Gram Parsons (klar!) über Hank Cochran (wahr!) bis zu Radiohead (what?), alles wunderhübsch, wie füglich zu erwarten war. Auf dem von Hazel Dickens 8C Alice Gerrard einst so herzzerreißend intonierten „Mining Camp Blues“ flirten Hazeldine gar mit Bluegrass und stecken ein kleines Claim ab, wo sich sonst nur Fuchs und Freakwater gute Nacht wünschen.

Die neben der Auslaufrille ins Vinyl gekratzte Botschaft „Hats off to Lee Dorsey“ ist sympathisch, aber irreführend, denn mit Soul äC Skank haben die JUBILEE ALLSTARS aus Dublin nicht das Geringste zu tun. Die Gebrüder McCormack (Fergus, Barry & Niall) sind Melancholiker und Meister des Wohlklangs sowie der melodischen Schwermut Eine Reihe exquisiter 7inch-Singles und EPs wies in den letzten drei Jahren den tränenreichen Weg, doch dient die Debüt-LP „Sunday Miscellany“ (Lakota) keine dieser Songperlen zur schnöden Zweitverwertung an. Ein Beweis für die Klasse der Allstars, ebenso wie das Sequencing der durchweg dunklen und spari sam intrumentierten Poeme. Die heißen „A Man Sighs“ oder „The Dying Tbwn“, und so klingen sie auch. Nach regennassen Straßen, fahl leuchtenden Laternen und bedrohlichen Schatten. Die Gitarren weinen, die Orgel seufzt, das Herz wird klamm. Suizidgefährdeten wird vom Genuß dieses bitteren Gebräus abgeraten.

Völlig unbedenklich für jedermann ist „Down At The Skyview Drive-ln“ (Watermelon/Sire), die neue LP von DON WALSER. Es sei denn, Sie hätten etwas gegen Honky Tönk Music und watzernden, jodelnden und unverschämt zünftigen Country 8C Western. Ja? Dann mein Beileid. Allen anderen, mit mehr Hirn und Herz ausgestatteten Lesern sei Walsers neues Werk empfohlen, auch wenn es bei weitem nicht sein bestes ist. Das texanische Unikat singt wie immer vortrefflich, das Material ist kongenial, von Johnny Bushs „An Eye For An Eye“ bis zur Elvis-Kastanie „A Fool Such As I“, doch ist das Klangbild sauberer ab sonst, das Backing gepflegter, der so beleibte wie beliebte Crooner ohne Überschwang. Der Closing Track wagt gar den Spagat ins klassische Fach: „Rose Marie“ vereint Dons sentimentalischen Country-Tenor mit dem Kammer-Gefiedel des Kronos Quartetts. Gewöhnungsbedürftig, aber lohnend.

Immer lohnend sind auch SOCIAL DISTORTION, auf Platte und vor allem in concert. „Live At The Roxy“(Time Bomb/BMG) ist die Schnittmenge daraus, fetzig und fulminant. Alte Cover-Favoriten wie z.B. „Under My Thumb“ und „Ring Of Fire“ bekommen ebenso ihr Fett weg wie SD-Originale, allen voran „Story Of My Life“. „Punk music is class music“, schreibt SD-Mastermind Mike Ness in den Liner Notes, „like blues or country it exposes the soul“. Stimmt. Aber auf wie viele Punk-Bands trifft es derzeit zu? Social Distortion spielen in ihrer eigenen Galaxis, Lichtjahre entfernt von all den gepiercten Poseuren und ihren Second-Hand-Clash-Riffs. Dies ist weniger Punk Rock als Punk’n’Roll.

AKZEPTABELE

Eine Mixtur aus elegantem Chic-Funk und rootsigem R & B ist noch keinem gelungen. Weil es noch keiner versucht hat. JIMMIE VAUGHAN hat sich für den Opener seines neuen Albums „Out There“ (Epic) mit Nile Rodgers zusammengetan, und das Resultat titeis „Like A King“ kann sich fürwahr hören lassen: Memphis-Disco! Der Rest ist Blues, Boogie und ein wenig Soul, alles überaus gediegen und geradeheraus, bis hin zum akustisch schnarrenden Solo-Instrumental „Little Son, Big Sun“.

Neben Vaughans rustikalem Woogie muten die urbanen 12 bar-Mutationen von MICHAEL HILL’S BLUES MOB geradezu modern an. Auf „New York State Of Blues“ (Alligator) zieht Hill etliche Register, läßt seine Gitarre jaulen und lamentieren, biegt seine Finger zu einem Dutzend Griffe pro Takt und pendelt innerhalb eines einzigen Track zwischen Funk und Fusion, zwischen Rock und Reggae-Synkopen. Eine Energieleistung, so virtuos wie ermüdend, doch haben einige Cuts durchaus die nötige Ökonomie. „Anytime, Anywhere“ etwa oder das soulige „Never Give Up On Yu“. Hill spiele den Blues des 21. Jahrhunderts, lobt sein Label Jawohl So wie Lenny Kravitz die Zukunft des Pop ist.

Dann eher GOLDSTONED, der mit bürgerlichem Namen Patrick Goldstein heißt, in Berlin lebt und mit „Our Man In Soulburbia“ (Pat Sounds, Eigenvertrieb 030-7517608) ganz allem ein wunderliches Werk gefertigt hat, mittels 4-Spur-Cassetten-Recorder, hundert Ideen, tausend Zitaten, Chuzpe und Charme. Tüftler wie die frühen Guided By Voices oder der spleenige Einzelgänger White Town kommen in den Sinn, doch sind Goldstones Versatzstücke vielschichtiger und ihre Verarbeitung popsensibler, Easy Listening trifft auf The Style Council beatleske Breaks, Beach Boys-patentierte ooo-ooohs und babababas, weißer Soul, Powerpop ohne nennenswerte Power, Vibes, XTC-Demos, Computer-Rhythmik und viel Cheese, manches unausgegoren, anderes ganz bezaubernd. Und proto-britisch bis ins Mark. Macht Spaß.

Von Tempelhof nach Neufundland: GREAT BIG SEA genießen in Kanada Platin-Status, während sie bei uns im Vorprogramm der Oysterband durch die Clubs tingeln müssen. Eine Schräglage, die auch „Play“ (Cooking Vinyl/ Indigo) nicht ändern wird, weil der engagierte Folk-Pop des Quartetts den hiesigen Folkies zu hierundheute ist (die Jungs covern R.E.M.!), der soundgeilen Popjugend aber definitiv zu traditionell gehäkelt und gestrickt. Schade, denn die Shanties und neokeltischen Dancetunes sind einen Check wert. Oder zwei.

MISERABEL

Texas-Music ist die Antithese zu industrieller Fließbandware, Ausnahmen bestätigen die Regel. DEEP BLUE SOMETHING aus Dallas sind ein solcher Sonderfall. Ihr „Breakfast At Tiffany’s“ war noch einer der erträglicheren Dauerlutscher-Hits, doch hat „Byzantium „(Interscope/ Universal) nichts ostentativ Ohrwurmiges, obwohl es nicht an Versuchen mangelt. Glatter, pappiger, dudeliger Rock ist jedoch alles, was zu hören ist, mal etwas balladesker, dann wieder mit leichtem Latino-Einschlag.

Unterste Schublade ist LIONEL RlCHIE, dem der Schmelz in der Stimme zu Schmalz gerann. „Time“ (Mercury) hat ein paar lustlose Tanznummern der Marke „Safer Funk“, der Rest ist Schnulzerei fürs Schlafzimmer von Matronen und Mümmelgreisen. Lionel und Viagra machen’s möglich. Knipse einer das Licht aus.

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