Short Cuts von Wolfgang Doebeling
Wilson Pickett – It’s Harder Now (bullseye/zensor)
Ein so willkommenes wie unwahrscheinliches Comeback. Wicked Mr. Pickett, „bad boy of soul“, „gangster of love“ und was der Schmeicheleien mehr sind, mit denen sich der Seifpromoter gerne ins Rampenlicht drängelte. Ein Halodri, aber mit einer Lunge wie ein Pferd und mit einer Stimme wie ein Dampfhammer, explosiv und wuchtig. Wo er sich die letzten Jahren herumgetrieben hat, weiß der Teufel (und nur der), aber nun ist er zurück und kann es selbst kaum fassen. „I remember 1965“, heult er in „Soul Survivor“, „everybody was still alive.“ Und dann zählt er sie alle auf, die großen Toten und Weggefahrten des Southern Soul, von Otis bis Sam & Dave. Picketts Passion ist intakt, die Produktion taktvoll, die Rhythm Section pumpt, die Gitarren schlagen Funken und die Bläser sorgen für ordentlich Druck. Einige der Besten haben ihre Talente beigesteuert: Don Covay, Dan Penn, Donnie Frirts. Was könnte da schon schiefgehen? Selbst das sexuelle Innuendo von ehedem ist ihm nicht abhanden gekommen, die Chauvi-Sprüche sind dreist wie eh und je. Er konnte halt nie die Finger lassen von seines Nächsten Weib. Ganze Heerscharen gehörnter Gatten sollen ihm nach dem Leben getrachtet haben. „It was just my luck“, kräht er stolz, „that I could run so fast.“ 3,5
High Noon – Live At Diamond Hall (MCG)
Komplettes Konzert-Dokument der (inzwischen leider aufgelösten) besten und coolsten Rockabilly-Band der Neunziger. Aufgenommen im April ’96 in Nagoya, Japan, und in kleinen Ausschnitten bereits auf ihrer „Live In Texas And Japan“-LP veröffentlicht, belegt der Gig eindrucksvoll Klasse und Rasse des Trios. Schade, dass die Klangqualität nicht mithält So eruptiv und heiß die Musik, so flach und eindimensional der Sound. 3,0
Sophie B.Hawkins – Timbre (Columbia/Sony)
Eine sinnliche Platte wollte sie machen, sagt die gute Sophie. Das ist ihr gründlich missraten. Was könnte unerotischer sein ab elektrische Pianos und sämige Keyboards, Airy-fairy-Weisen, sachtes und schmachtendes Stimmgesäusel und Texte voller Bäuche, Brüste und Beine? Ach ja, und „spirituell“ will „Timbre“ auch sein. Ist es. 1,5
Darryl Read & Ray Manzarek – Freshly Dug (Ozit/BMG)
Doors-Organist Manzarek am Piano, Brit-Poet Read am Mikro, schöne nackte Frau im Insett, neben der verblasensten Lyrik dieseits von Barclay James Harvest: „Brains burning, visions of fire/ Cold embraces to strangers/ Being of sycophantic-type qualities/ Questioning answers with bullet-like penetration…“ 1,5
John Kennedy – Kennedy Town (U&W/Glitterhouse)
In Liverpool geboren, in Brisbane von Gevatter Pop via Radio erzogen, große Songs geschrieben, etliche erstklassige Platten gemacht und von einem wohlmeinenden, keineswegs aber irregeleiteten Journalisten zum Elvis Costello of Australia“ ernannt, ins Exil gegangen nach Berlin und Hongkong, inzwischen wohnhaft in London: Die Biographie des John Francis Kennedy liest sich sogar in der Kurzform wie der Stoff, aus dem keine schlechten Filme gemacht und keine Konten gefüllt werden. „UnchartedSongs Front The Wildemess Years“ hat JFK sein aktuelles Album untertitelt, das einmal mehr der britischen Pop-Tradition huldigt, wiewohl die Instrumente „Folk!“ rufen und „Country!“ weinen und die Orte der Handlung meist weit entfernt sind von Old Blighty. Und immer ganz nah. Commonwealth wörtlich, ästhetisch und emotional. 4,0
Utopian Babies – Nothing In Moderation (ROADSHOW/WPA)
Australischer Soft-Rock. Radiogerecht produziert, also grässlich komprimiert und nervtötend agil. Dabei hätten einige der Songs von Dave Wilkins das Format, auch ohne das penetrante Sound-Gerüst aufrecht zu stehen. So ist es halt nur die Schnittmenge aus Silverchair und Sixpence. 2,0
Clinton – Disco And The Halfway To Discontent (HUT/VIRGIN)
Clinton sind Tjinder Singh und Benedict Ayres von Cornershop im Basteifieber. Die Effekte-Palette aus der Software-Abteilung von Woohvorth will getestet, der Geist von Monty Python beschworen sein. „Nazi Nazi movement“, singt Singh zu Bums-Beats, „so tnany miles to be dumb.“ Vexierspiele zu Versatzstücken aus der Computerpopwelt Satire für den Dancefloor. „Welcome To Tokyo, Otis Clay“ haucht eine Französin, der Baukastenaspekt zeitgenössischer Produktionsweisen in Musikmanufakturen erfahrt seine finale Erfüllung. Wer einmal im TV den gequirlten Online-Quark „Giga“ gesehen hat und seither von Obstipation geplagt wird, der findet bei Clinton Erleichterung. Ein vergnügliches Laxativ. 3,0
Sevendust – Home (EPIC/SONY)
Neo-Metal aus Georgia: klotzige Riffs, krachendes Schlagwerk, stämmige Songs, keinerlei Swing. Skin von Skunk Anansie heult mit und Deftones-Vokalist Chino Moreno stellt seine „barbarische Stimme“ (Label-Info) in den Dienst der Betäubung. Für Freunde von Heimet und Heldengedöns. Verkaufsprognose: UK 50, D 50 000, USA 5 000 000. Green Card? No. 1,5
Courtney Granger – Un Bal Chez Balfa (Inakusik)
Zur Touri-Folklore verkommen und in den Nepp-Lokalen des French Quarter in New Orleans als Klangtapete missbraucht, fristet Cajun heute eine eher kümmerliche Existenz. Wild war diese Musik einst und ungestüm, als die Balfa Brothers zum Tanz aufspielten, Nathan Abshire oder Lawrence Walker. Traditionspflege ist alles, was davon geblieben ist mal besser wie bei Beausoleü oder Joel Sonnier, meist entsetzlich öde. Stewart Granger ist ein Großneffe des vor ein paar Jahren gestorbenen Genre-Pioniers Dewey Balfa und für einen 16-Jährigen bereits sehr gewieft im Umgang mit der Fiddle, sogar in musikalisch benachbarten Gefilden wie Zydeco und Texas Two-Step. Manches hier klingt noch ein wenig hölzern, und dass man in diesem zarten Alter noch keinen Ausdruck in der Stimme haben kann, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Aber: a name to watch. 2,5