SHORT CUTS :: von Wolfgang Doebeling

FORMIDABEL

Pastorale Epen zu rustikal schnarrenden akustischen Gitarren und halbfertigen Harmonies machen „Hillside Album“ (Creation) von ARNOLD zu einem archaischen Vergnügen. „Curio“ wird zwar von einer Rhythmusbox getrieben, aber auf so krude, elementare Art, daß der Bauch Zustimmung signalisiert, bevor der Kopf sich schütteln möchte. Anderswo psychedelisiert und experimentiert es, aber stets homogen auf Songs abgestimmt, die sich aus sich selbst heraus entwickeln und nie kalkuliert wirken. Songwriter Saxby muß Deadhead sein, Sänger Morris tausendmal „Ummagumma“ gehört haben. Einmal zu oft vielleicht. Die beiden Bonus-Cuts auf dem Doppel-Vinyl heißen wunderlicherweise „Secret Tracks“, obwohl man sie doch mit bloßem Auge erkennen kann. So verschwurbelt können Arnold sein. Oder so direkt und offen wie auf „Country Biscuit“: ein Mikro für alle. Mono, glorios.

Genauso hatten die Said Mountain Boys ihre strahlend schöne LP „Pine Box“ aufgenommen, doch ist diese großartige Band leider schon Geschichte. Scuds-Kopf Joe Pernice hat mit den PERNICE BROTHERS indes bereits ein neues Pferdchen am Start, diesmal nicht beim Kentucky-Derby für dreijährige Alt-Country-Stuten, sondern beim Traber-Treff für Retro-Pop-Jockeys. Sarkastisch betitelt, beleiht „Overcome By Happiness“ (Ryko/RTD) vornehmlich sanfte, melodieselige Sixties-Bands wie Left Bänke oder die späten Zombies. Die Vocals zirpen und schmeicheln, die Streicher ornamentieren ohne Pathos, und den Songs wohnt ein Zauber inne, der sich erst nach mehrmaligem Hören so recht entfaltet, dann aber nicht mehr losläßt. Bittersweet.

Bitter ist, daß EVA CASSIDY schon 1996, im Alter von 33 Jahren, vom Krebs dahingerafft wurde. Im besten Sinne süß ist ihr musikalischer Nachlaß, zu dem „Songbird“ (Hot/RTD) ein spätes Entree verschafft. Ihre kräftige, enorm modulationsfähige und dennoch stets beherrschte Stimme vermochte – diese Compilation belegt das eindrucksvoll – das blasseste Material und das drögste Backing zu transzendieren. Eva sang Blues und Folk, Jazz und Pop, war Bonnie Raitt ohne Reibeisen, Enya mit Roots, Deniece Williams ohne Koketterie, k.d lang mit SouL Eva sang Sting und Curtis Mayfield, wurde letzterem gerecht und wertete ersteren so auf, daß nun sein, „Fields Of Gold“ neben Mayfields „People Get Ready“ stehen kann, ohne peinlich zu wirken.

AKZEPTABEL

Ihr byrdsianisches Jingle Jangle haben sie nicht verlernt, ihre Akkordfolgen sind nach wie vor attraktiv, und ihre neuen Songs laufen meist schön rund, doch geht THE CHURCH mittlerweile jenes Moment völlig ab, das die genannten Stärken erst zum Tragen brachte: Energie, „Hologram Of Baal“ (Cooking Vinyl) wirkt bei aller Liebe zum Detail anämisch. Die Keyboards säuseln und schwirren, der Sound ist konturlos und ganz von hier und heute, komprimiert und aseptisch. Eine äußerst zwiespältige Angelegenheit.

Dasselbe gilt für MACEO PARKER, dessen „Funkoverload“ (EBC/EFA) ebendas ist: überladen. Erstaunlich für einen Mann, der einst in der schärfsten Funk-Combo aller ‚Leiten mitgewirkt hat. James Brown, maaan! „Papa’s Got A Brand New Bag“! Rhythmus aus der Hüfte, die Beats sparsam und auf den Punkt. „Elephant’s Fool“ hat noch einen Rest von dieser Magie der Synkopie (auch wenn’s ein blöder Song ist), doch ist vieles hier zu angestrengt, zu agitatorisch. „Sweat it off! Get on the floor! Everybody move ya body!“ Der „Architect Of Groove“ müßte es besser wissen. Sein Sohn ist auch mit von der Partie. Als Rapper. Nein, danke. Dafür ist die Version von Marvin Gayes „Inner City Blues“ gelungen. Und das ebenfalls instrumentale, lasziv swingende „Going In Circles“. Unentschieden immerhin.

Bluegrass krankt derzeit an einem seltsamen Konservatismus und an einer Biederkeit, die ihren äußeren Ausdruck in Jeans mit Bügelfalten findet und musikalisch an ihrer gottverdammten Höflichkeit zu ersticken droht Gab es früher zyklisch Schübe von Innovation, etwa in den frühen Sixties (Kentucky Colonels! Dillards!) und in den Seventies (The Seidom Scene! Newgrass!), ist diese eigentlich rasante Gattung inzwischen eine Domäne für Musiker, die mehr verwalten als bewegen. THE SIEKERS machen da leider keine Ausnahme. „Nashrille Cat“ (LP Records) macht ein hübsches Geräusch, und die Songs über Texas, Tennessee und Brandenburg sind getragen von Liebe zu Banjo, Fiddle und Heimatland. Was fehlt sind Druck und Drive.

Davon ausreichend haben zwei britische Bands, die mit „Tribute To Hank Williams“ (Be Be’s Records) nichts fundamental Neues bieten, das Vertraute dafür um so hingebungsvoller und herzerwärmender. THE RIMSHOTS verneigen sich vor olle Hank in Honky-Tonk-Manier, die Steel Guitar jault adäquat schräg, und Sänger John Lewis hat den nötigen Twang und Drawl in der Stimme, um die beachtliche Authentizität nicht studiert klingen zu lassen. RUSTI STEEL & THE TIN TAX machen ihre Sache nicht schlechter, verlegen sich jedoch mehr darauf, den Hillbilly Swing in ihren Oden zu feiern. Ein bißchen wacklig, okay, aber Hank selbst war auch nicht immer on top ofthings. Gegen Ende eher selten. „Hank’s main quality is the sincerity in both his songs and his singing“, schreibt Rusti Steel in den Liner-Notes treffend. Und das ist auch dieses Tribut-Album: sincere.

MISERABEL

Paul Kantner ist zwar wieder Captain des JEFFERSON STARSHIP und die neue Crew ist zum Teil die ganz alte Besetzung, der wir ein paar hervorragende Platten in den Siebzigern zu verdanken haben, doch ist die Musik auf „Windows Off Heaven“ (SPV) dennoch reiner Schund. Nicht so übel wie seinerzeit „We Built This City On Rock’n’Roll“, aber doch ohne jede Inspiration und offenkundig nur vom Gedanken beseelt, noch ein wenig Kasse zu machen. An zwei, drei Stellen scheint es ja wirklich abzuheben, das Sternenschiff, es gewinnt an Höhe, na ja, ein paar Meter, dann erweist sich die Erdanziehung wieder als unüberwindbar für das ächzende, alberne Gerontomobil. Lachhaft.

Eine Totgeburt ist auch „Redneck Wonderland“ (Sony) von den australischen Pomp-Rockern MIDNIGHT OIL. Die Texte sind wie stets völlig PC, total engagiert („time to take a stand“) und so weiter, doch ist die Musik von so kalter, grober Crossover-Berechnung, daß Übelkeit aufkommt Midnight Oil paaren ihren verblasenen Hard Rock jetzt nämlich, wie originell und up-todate, mit Sequenzer-Sequenzen und Samples, freilich ohne daß es je zu einer Reaktion käme. Noch lachhafter.

Die BELLAMY BROTHERS blasen auf „The Reggae Cowboys“(Start) zu einer Offensive des Frohsinns, die Country zu reinem Kitsch verdünnt, Reggae zu karibischer Muzak und nebenbei ein par schöne Songs verhunzt. Für Mallorca-Urlauber.

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