Short Cuts von Wolfgang Doebeling
FORMIDABEL
Zu den Bewunderern von GEOFF MULDAUR gehören Bob Dylan, John Cale und Richard Thompson, von dem das Statement stammt: „There are only three white blues singers, and GeoffMuldaur is at least two of them.“ Das über einen Mann, der für seine fabelhafte Debüt-LP „Sleepy Man Blues“ vor rund 36 Jahren Dave Van Ronk und Eric Von Schmidt als Begleitmusiker gewinnen konnte. Und abgesehen davon, daß Blues keineswegs Anfang und Ende ist im musikalischen Universum dieses Universaltalents. „The Secret Handshake“ (Hightone/Fenn), Muldaurs Comeback nach 2Ojähriger Abwesenheit, ist nicht weniger als sensationell in seiner eklektizistischen Vielfalt, seiner Unerschrockenheit und emotionalen Tiefe. Von der Gospel-Inbrunst in „This World Is Not My Home“ über so gewagte wie triumphale Umdeutungen von Leadbelly und Dock Boggs bis zur Verschmelzung von New Orleans-Jazz, Hillbilly Mountain Music und Bebop, zieht Muldaur alle Register seines enzyklopädischen Wissens und seines instrumentalen wie vokalen Könnens. Das ist viel, sehr viel. Musik mit Charakter, lustvoll und launisch, zum Zuhören und nicht zuletzt zum Tänzen. Wie alle große, zeitlose Popmusik.
Möglich, daß auch EMMYLOU HARRIS, DOLLY PARTON & LINDA RONSTADT auf die Zeitlosigkeit ihrer Kunst vertrauen. Anders ist kaum zu erklären, warum der Nachfolger zu dem gemeinsamen 87er Meisterwerk „Trio“ ein ganzes Jahrzehnt lang auf Eis lag. Jetzt endlich ‚ist „Trio D“ (eastwest) da, und daß die Musik keine Patina angesetzt hat, bedarf sicher keiner weiteren Erklärung. David Grisman (Mandoline), Alison Krauss (Fiddle), Carl Jackson (Gitarre), Ben Keith (Steel), Leland Sklar (Baß) und Jim Keltner (Drums) sind nur einige der Session-Schwergewichte, die durchweg höchstes Niveau garantieren. Auch der kürzlich verstorbene Roy Huskey Jr. ist noch einmal zu hören. Ihm ist das Album auch gewidmet, ein Album, das nicht so auf Anhieb begeistert wie der Vorgänger. Einmal, weil der harmonische Dreiklang der illustren Ladies natürlich keine Überraschungen mehr birgt Zweitens, weil so überragende Tracks wie Linda Thompsons „Telling Me Lies“ diesmal fehlen, und schließlich, weil es einen Ausfall zu beklagen gibt: „After The Goldrush“ ausgerechnet einer von Neil Youngs besten Songs, hier jedoch allzu süßlich jubiliert und weit näher an der Acapella-Version von Prelude als an Onkel Neils trefflichem Original. Am besten sind die Grazien, wenn ein Bluegrass-Teppich unter ihnen ausgebreitet wird, dicht und weich. Dazu diese himmlischen Harmonies. Unvergleichlich. Und da wir nun schon im Himmel sind…
AKZEPTABEL
Wenn der Gram-Parsons-Biograph und Ober-Sympath Sid Griffin seinem (und meinem) Idol Reverenz erweist, dann stets mit scholastischem Ernst, Enthusiasmus und der nötigen Ehrfurcht. Und so erklomm er anläßlich des 25. Todestages des verehrten Visionäre – am 19. September letzten Jahres – mit seiner Band, THE COAL PORTERS, eine Bühne: „The Gram Parsons Tribute Concert“ (Prima/Glitterhouse) beinhaltet ein Dutzend GP-Perlen in schlichten Pubrock-Fassungen, die an einigen Stellen Rost angesetzt haben, aber hier und da durchaus einen matten Glanz entfalten. Ein paar Covers sind gar richtig inspiriert. „Older Guys“ zum Beispiel. Nicht umsonst nennt Griffin seine Combo bisweilen The Bootleg Burritos.
YONDER sind im Kern ein deutschamerikanisches Duo, das sich für sein nach ihm selbst benannten Debüt-Album (Highwater/Glitterhouse) bei Bedarf um Dobro, Fiddle, Pedal Steel oder Trompete verstärkt Stilistisch bewegt man sich vornehmlich auf ausgetretenen Roots Rock-Pfaden, mal mit Country-Flair zu schnarrenden Saiten, mal mit Breitwand-Schmackes oder akustisch verhübscht „Rural Pop“ nennen Yonder ihre schmissige Melange. Früher sagte man Country Rock.
THE ORIGINAL REVEREND JONES sind die Kehrseite dieser Medaille, auch sie aus deutschen Landen, auch sie Americana-vernarrt, doch beschäftigen sich ihre Songs auf „Shake, Reverend, Shake“ (Loudsprecher/Indigo) mit paranoiden und psychotischen Charakteren. Musikalisch mit probaten Mitteln, von Splatterblues bis Psychobilly. Lyrisch so vulgär wie albern: „Bury My Liver By The Bend Of The River“. Der Legendary Stardust Cowboy, Johnny Legend und Lux Interior gehen mit Ween saufen und dann gemeinsam ins Studio. Krank, aber kurzweilig.
Auch THE YUCCA SPIDERS sind Landsleute und Trash pur, auch sie lassen auf „0utsider…Toprider!“ (Indigo) die Cramps anklingen, die A-Bones und die Kingsmen, wenngleich in Go-Go-Manier und mit Garagen-Credo. Entsprechend überdreht sind die Songs, die „Super Human Sex Drive“ heißen oder, na klar, „Give Me Pussy“. Das knallt und gruselt und dilettiert. Wie die B-52’s an Halloween.
Einen anderen, ähnlich trashigen, aber ungleich moderneren Dilettantismus pflegen BIS aus Schottland. Darüber kann auch die von Andy GUI (Ex-Gang Of Four) besorgte, aufwendige Produktion auf „Social Dancing“(Wiiija/PIAS) nicht hinwegtäuschen. Sicher, die Zeit des charmanten Schrammeins ist für Bis vorüber, Synth-Einsatz und Sequencer-Betrieb sind eine bare Selbstverständlichkeit. Doch unter all dem Prozessoren-Potensgehabe rumort die alte Schrottmentalität Und oft genug setzt sie sich durch: „I’m A Slut“ hat den rohen PopAppeal von ehedem, eidig ist nur „Eurodisco“, das klingt, als hätten sich Gary Numan und Giorgio Moroder gefunden. In Japan wird man Bis dafür lieben. Plastic und fantastic sind dort Synonyme.
Einen amüsanten Querschnitt durch die letzten vier Dekaden Rock-Historie bieten THE SOUNDTRACK OF OUR LIVES aus Schweden auf „Welcome To The Infant Freebase“(Telegram/WEA).
Union Carbide Productions hieß die Band einst und machte in Noise und Grunge, heute meißelt sie kleine Song-Statuetten aus Findlingen, auf denen „Kinks“ steht oder „Stooges“. Oder sie bricht sich ein Pink Floyd-Intro aus dem „Classic Rock“-Steinbruch. „Let’s Spend The Night Together“ nimmt man gleich komplett, macht sich gar nicht erst die Mühe, es groß umzuschreiben. Ein neuer Titel tut’s auch: „Blow My Cool“. Frech kommt weiter.
INDISKUTABEL
Der Euphemismus des noch jungen Jahres kommt von Alt-Schmock ROBERT PALMER, auf den schon in den Achtzigern kaum eine Dorf-Disco verzichten mochte. „Rhythm & Blues“ (Eagle) hat viel blechernen Rhythmus, jedoch gar keinen Blues. In Mailand nahm Palmer das seelenlose Gesummse auf und in Tutzing, dortselbst mit Peter Maffays munterer Handwerker-Riege (Carlton, Kravetz, Engel). So klingt es denn auch, bloß noch abgestandener. Noch immer läßt der enorm eitle Palmer nur seine schöne Gesichtshälfte fotografieren ein Helmut Berger des synthetischen Pop.