Short Cuts :: WOLFGANG DOEBELING

FORMIDABEL

Für die einen ist Garagen-Punk ein iAkkorderAlibi, um Krach zu machen und Mädchen zu kriegen. Sobald sie ihre Gitarren und Hormone etwas besser im Griff haben, desertieren sie zu Rock oder Blues oder, wenn’s ganz schlimm kommt, zu Blues-Rock. Die anderen sind Garagenbewohner aus innerer Überzeugung. Sie glauben an SkySaxon, fürchten den vierten Akkord und Tempowechsel wie der Teufel das Weihwasser. Zu letzterer Kategorie gehören THE HENTCHMENaus Detroit, Michigan. JMotorxaftn'“(Norton) ist bereits ihre vierte LP, und neben der musikalischen Entwicklung, die seit der hübsch sarkastisch „Broad Appeal“ betitelten dritten LP zu vermelden ist, nimmt sich jene von JRocket Tb Russia“ zu JRoad Tb Ruin“ wie ein Quantensprung aus. Dabei stehen weniger die Ramones Pate für den infernalischen Primitivismus des Trios, sondern die semi-legendären Question Mark 8C The Mysterians aus, richtig, Michigan. Es braucht fürwahr nicht viel: Orgel heulend, Gitarre zerrend, Schlagzeug geprügelt, ein Chuck- Berry-Riff hien ein Bo-Diddley-Beat da, dazu schnelle, räudige kleine Monster von Songs, die „Rat Bones“ heißen, oder, lechz, „Naked Sister“, und schon hat man die Hentchmen. Seite 1 Studio, Seite 2 live.

Coolasshit.

Ultimativ cooler noch ist die erste Solo-LP von DEKE DICKERSON, bis vor kurzem noch Co-Leader der fabelhaften, leider aufgelösten Dave And Deke Combo. Das musikalische Spektrum auf JSumber One Hit Record“ (Hightone/Fenn) ist gewaltig und reicht von Country & Western und klassischem Rockabilly über Boogie, Swing, Jazz und Blues bis zu blauäugigen, herzschmelzenden Rockaballads. Dickersons neue Band, The Ecco-Fonics, ist mehr als kompetent, und von den Gastmusikern bestechen vor allem Steeler Jeremy Wakefield und, einmal mehr, Woogie-Wunder Carl „Sonny“ Leyland an den 88 Tasten. Fun fun fun, fiftiesstyle.

Und noch weiter back in tinte, in eine Zeh, in der es noch kein Vinyl gab. Kicks on 78 hieß die Devise. Ersatzweise DIY: Front Porch-Sessions für die ganze Familie, Nachbarn, Maulesel und Eichhörnchen. Banjo, Fiddle, Gitarre, Baß. Mountain Music, bevor sie Bill Monroe in den 30er und 40er Jahren beschleunigte und Bluegrass daraus bastelte. Old Timey Music nennt man diesen Stil heute. THE FREIGHT HOP-PERS sind Meister darin, und ihr zweites A&n3m“Waiting0n TheGmvyThain“ (Rounder/Munich) ist eine Zeitblase voller Leben. Was die Hoppers von anderen Traditionspflegern unterscheidet, ist ihre unbändige Musikalität Und ihre Attitüde, wie Charles Wolfe in den Liner-Notes richtig bemerkt: „They respond to the past with aggression, passion, excitement and joy.“ ETTyTTr7*T^T3^ Eher konventionellen Bluegrass, wenn auch höchst virtuos und nicht ohne Schwung dargeboten, spielen THE RAMBLER’S CHOICE auf der LP ‚“Sounds OfThe Mountains“ (Rounder/Munich). Hin und wieder schleichen sich Newgrass-Einflüsse ein, doch gehören die besten Momente dieses Longplayers eindeutig der Tradition. Dem wundervoll langsam walzernden „Springtime And Roses“ etwa oder der so sorgsam wie sparsam instrumentierten Fassung von Ralph Stanleys „Shotgun Slade“. Nicht aufregend, aber äußerst gediegen.

Anständig aus der Affäre ziehen sich dieOZARK MOUNTAIN DAREDEVILS, die freilich mit Mountain Music noch nie viel am Hut hatten, auf ihrem Reunion-Album“I3″(New Era). Das Cover (Kraxler auf verschneiter Bergspitze) mag bescheuert sein, vor allem aber ist es irreführend. Denn was immerhin vier Original-Ozarks, darunter das Songwriter-Gespann Steve Cash und John Dillon, hier zelebrieren, ist Country Rock der Marke Seventies, hochmelodiös und blitzblank und beinahe so vital wie damals „Thin Ice“ oder „Black Sky“. Die Harmonies sind intakt, die Songs sehr nett Was allenfalls fehlt, ist dieser kräftige, kapitale Sound, in den David Anderle und Gh/n Johns vor 25 Jahren Gitarren, Harmonika und andere Melodie-Instrumente zu integrieren wußten. Nichts für den No-Depression-Zirkel indes. Like Unde Tupelo nerer happened.

Wer glaubte, RORY BLOCK ob ihrer letzthin in Routine erstarrten Veröffentlichungen abschreiben zu können, wird von „Conjessions OfA Blues Singer“ (In-Akustik) angenehm enttäuscht sein. Primär akustisch geerdet, haben die zwölf Cuts ein erstaunlich authentisches Flair, was nicht zuletzt damit zu tun hat, daß die meisten Songs mehr als ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel haben und aus der Feder von Bukka White, Furry Lewis, Charlie Patton, Robert Johnson und Blind Willie McTell stammen. Dennoch: Je heiliger die Vorlagen, desto sündiger mögliche Mißgriffe. Und Rory Block vergeht sich nicht, singt beherrscht, verzichtet aufs Röhren und verdient Respekt dafür. Eine Platte für Bonnie- Raitt-Fans, nicht nur, weil die GrammyrAbonnentin auf „Ramblin‘ On My Mind“ Slide spielt: Schwestern im Geiste.

Ganz unbeeindruckt vom amerikanischen New Wave-Ska der No Doubt-Schule zeigen sich THE BUSTERS, seit zwölfjahren im Amt auf ihrem neuen Album JMake A Move!“ (Dogsteady/ SPV). Wie eh und je streift das durstige Dutzend durch Fun-Ska-Gefilde, singt über „Six Beers And Rocksteady Music“ und hypersynkopiert halt, was das Zeug hält Gut, daß dies nie in Bad Manners-Gröl-Ska endet Schlecht, daß man glaubt, den schönen Ska-Internationalismus mit Stil-brüchigem Kauderwelsch stimulieren zu müssen. So wird Seite 4 der Doppel-LP fünf „Special Euro-Ska Tracks“ gewidmet, je einer in italienisch, russisch, deutsch, spanisch und französisch. Okay, der Russen-Popsteady ist ganz lustig. Eine perverse Mixtur aus Ivan Rebroff, Dschinghis Khan und Schunkel-Reggae.

INDISKUTABEL II

gute Nachricht zuerst: WHITNEY HOUSTON hat ihr bislang wohl bestes Album gemacht Die schlechte: Es taugt nicht vieL Die schöne Whitney sei „wie ein Vollblut-Rennpferd“, enthusiasmiert ihr Produzent David Foster. „Sie kann dir so tief in die Seele sehen, daß dir die Knie schlottern“, assistiert Babyface. Glauben wie Auch daß sie immens gut riecht, sich in Gesellschaft zu benehmen weiß und keiner Fliege etwas zuleide tun kann. Voa ihrer 5-Oktaven-Stimme einmal ganz abgesehen. Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf. „Yo!“, psalmodiert die Diva mit dem tollen Teint „Bless the Lord. Oh my soul and all that is within me. Bless His holy name. I serve a risen Savior. Thank you Lord.“ Hat sie so ins Booklet geschrieben. Und das ist erst der Anfang. Triefendere Linemotes sind kaum vorstellbar. Die Musik dazu ist nicht mal übeL nur entsetzlich langweilig. Stubenreiner Funk und gebremster HipHop, mit Missy Elliott und Faith Evans. Nur die Balladen aui^iyLowb YourLove“ (Arista/BMG) tun weh, ganz besonders „When You Believe“. Mit Mariah Carey. Ein Pfund Schokolade mit Zuckerguß und Sahne. Diabetes tremens.

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