Sigur Ros – Agaetis Byrjun

Sigur Ros, den Namen traut man sich kaum zu wispern. Es soll ja Fans geben, die für ein striktes, mönchisches Redeverbot bei den Konzerten plädieren. Und nur Begriffe aus der katholischen Liturgie oder der Landschaftsgärtnerei verwenden, um die Musik der Band aus Reykjavik zu besprechen. Bei den Anderen brennt die Sicherung schon durch, wenn Frontmann Jon Birgisson die Gitarre mit dem Geigenbogen spielt und das zugehörige Stück die kritischen sieben Minuten überschreitet: Aha, „Monsters of prog“! Oder: Orchester-Alben haben wir genug, nach „Ladies And Gentlemen, we are floating…“, „Deserter’s Songs“, „The Soft Bulletin“.

Keiner sage hier Björk, deren Geplärre auf „Selmasongs“ zwar auch ganz und gar isländisch und entrückt ist – aber längst ein Manierismus.

Natürlich haben alle Recht bei einer Gruppe, die selbst so wenig Stellung bezieht wie Sigur Rös: Die fraglichen Platten hätten sie nie gehört, behaupten die vier jungen Inselschrate, und darüber könnte man sich schon wieder aufregen, wenn Sigur Rös nicht tatsächlich so oft wie eine Band klingen würden, die überhaupt nicht weiß, wie eine Band eigentlich arbeitet. Unartikuliertes, tiefes Grammeln steht am Anfang von „Agaetis Byrjun“, ein Echolot zählt ein, dann Orgel und getupftes Schlagzeug, die verwundete Gitarre, der Sänger. Ätherisch, androgyn. Der chill out nach der Apokalypse.

Das heißt auch: erdverliebte Musik. Später hört man das Atmen der Bläser und die quietschenden Finger auf den Saiten. Eine unverstärkt schrammelnde Gitarre löst das Geigenquartett ab, der Sänger schließt hinter den Feierlichkeiten die Tür – die Sache wird intim. Alle anderen (Spiritualized, My Bloody Valentine und wie sie nicht alle heißen) sind längst in Richtung Qavius abgehauen, derweil erfinden sich Sigur Rös mit einem ausgesprochen vorsichtig gedrückten E-Piano sogar den Funk und lassen ihn mutwillig in einer sonischen Explosion verglühen. Der spirit of Eden, um noch schnell ins klerikale Bild zu rutschen. Nur mit besseren Melodien.

Ein einziges Mal wird es peinlich, bei dem Quasi-Instrumental „Olsen Olsen“, wo sie der Versuchung schlecht widerstehen und einen gemischten Chor zu viel drauflegen. Danach wieder ein kleiner Folksong mit Klavier und Spieldose. Um unliebsamen Vergleichen vorzubeugen, hat der Gitarrist der Band Mogwai gesagt, Sigur Rös seien nur zwei Akkorde vom „Herr der Ringe“ entfernt. Und die Gefahr, dass sich die Isländer doch noch in ein spektralfarbenes Avalon verabschieden, besteht tatsächlich. Diese fast unerträglich schöne Platte aber bleibt hier.

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