SONIC YOUTH – A Thousand Leaves :: GEFFEN/UNIVERSAL

Den sogenannten amerikanischen Independent-Rock haben sie geradezu gestiftet – und zwar ohne Umweg über die Kunsthochschule. Dennoch war das Schaffen von Sonic Youth nie arm an Theorie und Experiment, sie nahmen selbstverständlich am Kunst-Untergrund von New York teil und verwendeten manchen Einfall für die eigene Arbeit, zumal in der Artwork. Für eine Weile, zwischen „Goo“ und „Dirty“, waren sie populär – auf dem Gipfel der Hysterie um Nirvana, denen sie bei Geffen zum Plattenvertrag verholfen hatten. Danach wurden Sonic Youth immer zerfahrener, wahnwitziger, egozentrischer.

Es war, als würden sie sich entschlossen ihrem eigenen Kosmos widmen, der nicht klein ist, aber irgendwo weit draußen, wo es rauscht und lärmt und manchmal ganz still wird. „Experimental Jet Set, Trash And No Star“ war so ein tapferes Album nach der Aufregung,“Washing Machine“ war mutwillig allen Erwartungen entgegengesetzt. Solo-Projekte von Thurston Moore und Kim Gordon (mit Free Kitten) überzeugten und geboten Respekt begeisterten aber nicht Auch Lee Ranaldo, der zweite Gitarrist, war nicht faul und ging in die Werkstatt (siehe „Alternativen“). Das Stückwerk dominiert heute über den großen Entwurf, die Improvisation über das Konzept Möglicherweise die einzige Methode, um ihr 14. Album aufzunehmen. Und möglicherweise haben Sonic Youth ja überhaupt nie etwas anderes gemacht.

„A Thousand Leaves“ ist natürlich kein abgehangenes Spätwerk, wirkt aber auch nicht wie das Ergebnis einer Radikalmaßnahme oder einer überwältigenden Idee. Es verblüfft und erfreut, wie Sonic Youth unbeirrt Stücke spielen, die „Female Mechanic On Duty“ heißen und acht Minuten lang sind, oder „Hits Of Sunshine“, eine elf minütige Hommage an Allen Ginsberg, die wie dessen Poesie dahinströmt und fast gar keine Worte braucht. Verglichen mit Patti Smith‘ Nekrolog ist das bis zur Selbstverleugnung bescheiden und lakonisch und eine schöne Art, des Freundes zu gedenken, ohne ihm nochmals Gloriolen zu winden. Thurston Moore wispert nur ein paar letzte Sätze, bevor Baß, Schlagzeug und Gitarre verklingen.

Pop ist es nicht. In Würde älter werden: Sonic Youth müssen das nicht erwähnen, sie machen es schon so lange. Noch immer krakeelt Kim Gordon bei einigen Stücken, aber das Album ist durchdrungen von einer Ruhe und Selbstgewißheit, die den Begriff „Post-Rock“ noch unappetitlicher erscheinen läßt. Wo der Rock endet, da beginnt „A Thousand Leaves“. Nach tausend Platten wollen sie aufhören – so erklärt Thurston Moore kindlich den Titel. Jedes Album sei ein Blatt. Dieses Album vielleicht vom Ahorn-Baum, wenn es windstill ist und klar und man weit in die Landschaft schauen kann.

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