Steinbruch Kurzbesprechungen

Johnny Marr und Bernard Sumner, berühmt für ihre Mitarbeit bei den Smiths und New Order, haben als ELECTRONIC stets enttäuscht. Pet Shop Boys mit Gitarre, aber lau. Mit „Raise The Pressure“ (Virgin) sind die beiden wieder nicht auf der Höhe der Zeit sowie ihres Könnens und schollern brav zwischen den Lightning Seeds und, äh, Alan Parsons. Schön fürs Auto. 2,5

THE WATCHMEN aus Kanada, dortselbst große Nummern, lassen nicht nur mit dem Plattentitel „Brand New Day“ (MCA) an Hüsker Du denken – auch ihre Songs haben bei den Unverbesserlichen getankt. Und das sollten Songs nicht mehr tun. 2,0

Was Mike Flowers kann, beherrscht auch der Franzose Philippe KATERINE. Der komponiert allerdings selbst und hält auf „Mes Mauvaise Frequentation“ (Motor Music) elegant die Balance zwischen verspieltem Chanson und Easy-Listening-Pop. Gartenparty! Bier auf den Grill! Schlechte Gewohnheiten pflegen! 3,0

„Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am längsten“: Die Dokumentation „Live II“ (Indigo) belegt noch einmal, daß die TON STEINE SCHERBEN unerreicht bleiben. Die heisere Wut, der herzblutende Anarchismus, die blanke Emotion in dieser Musik lassen Rio Reisers Niedergang noch trauriger erscheinen. Das Chaos ist aufgebraucht, es war die beste Zeit. 3,5

Mit HAKER erhebt der Britpop des letzten Jahrzehnts seinen Babykopf (siehe Cover). „Kiss Me“ (Virgin) vereint beliebige Schlagermelodien mit quengelnden Gitarren und dünn hallendem Gesang zu einer Muzak, die gar nichts sagt und gar nichts will. Nicht mal gehört werden. 1,5

Der Geiger NIGEL KENNEDY erotisiert die „Bild“-Kulturtante Dr. Dana Horakova: Sie durfte neben seinem Instrument niederknien, doch berühren durfte sie es nicht. Was Kennedy, mit Ende 30 immer noch Kostüm-Punk, auf „Kafka“ (EMI) zusammenfiedelt, wirft auch geradere Menschen nieder: Gemeinsam mit den üblichen Promis (Donovan, Pino Palladino, Manu Katche) hat er verschwurbelte Kitsch-Kompositionen aufgenommen, um seine „Ideen auszudrücken“. Viele hatte er nicht. Die aber singen Stephen Duffy, Jane Siberry und Mark E. Smith‘ Gattin Brix: „Look at me, I’m feminine.“ Nur Nina Hagen fehlt. 1,0

Die Materialschlacht „Mission: Impossible“ bringt mal wieder den großen Film- und Fernsehmusik-Komponisten LALO SCHIFRIN in Erinnerung, und „Mission: Impossible… And More! The Best Of Lalo Schifrin (1962-1972)“ (Verve/Motor) macht auch dessen Musik wieder gegenwärtig. Während auf dem Film-Soundtrack (Polydor) mehr oder weniger qualifizierte Adepten von Massive Attack bis The Edge den unvergleichlichen Ton verfehlen, gibt es hier „Bullitt“, „The Cat“, „Dirty Harry“ – atemlos, orchestral, schwindelerregend. 3,5

Etwas verstreut sind die Arbeiten auf „1996“ (Milan Music) von RYUICHI SAKAMOTO, Instrumentals im Trio. Die Filmmusiken zu „Merry Christmas, Mr. Lawrence“, „The Sheltering Sky“ und „The Last Emperor“ sind ebenso enthalten wie ein Song für Warenhaus-Reklame von 1978 und neue Stücke, die im letzten Jahr nur in Japan erschienen. Eine Ergänzung zu Sakamotos musikalischer Geographie und als Lounge-Musik zu hören. 3,0

Der praktizierende Chirurg Dr. Georg RINGSGWANDL hatte eine historische Stunde, als er in einer Talkshow die Sartre-Biographin Annie Cohen-Solal beschimpfte. Der Wutkopf ging auf dem Holzweg, denn die Französin sprach sogar besser deutsch als er – aber lustig war’s. Die „Zeit“ hatte ihn damals zum Kabarett-Giganten erklärt, aber in den nächsten Jahren arbeitete Ringsgwandl um so konsequenter an galliger Kleinkunst. „Der Gaudibursch vom Hindukusch“ (RTD), eine „Ravue“, mißvergnügt mit gar nicht mal höherem Klamauk. A Witzel g’worden, der Doktor. 2,0

Der Titel mag irreführend sein, doch ist die Musik zum größten Teil hörenswert: „COWPUNKS“ (Vinyl Junkie/Glitterhouse) ist eine Compilation mit Leftfield-Akteuren der amerikanischen Roots-Rock-Szenerie, von Ray Condo über Lambchop bis zu den formidablen Bad Livers. Höhepunkt der hübsch aufgemachten Doppel-LP ist Townes Van Zandts schaurig-sublimes „The Hole“ in einer konzentrierten Live-Version, Tiefpunkte gibt es auch, doch sind sie few and far between. Eine lohnende Exkursion in die singende und klingende Prärie. 3,0

Das krasse Gegenstück sind die FLAT DUO JETS, die auch auf ihrer siebten Veröffentlichung noch aufs Engste und Trashigste mit der Unmittelbarkeit im Bunde sind. „Red Tango“(Norton) hat rudimentäre Rums-Bums-Instrumentals, brachialen Rock ’n‘ Roll, countrifizierte Balladen von sinistrer Abseitigkeit und bewährte LoFi-Produktion, alles garantiert ohne jedes Zartgefühl, Nicht von dieser Welt. 3,5

Definitiv diesseitig, wenn auch auf, äh, höchst alternative Weise, sind BETTY GOES GREEN aus Belgien, einem Land, das uns immerhin Jacques Brei geschenkt hat, aber eben auch Plastic Bertrand und Front 242. „Hedonic Tone“ (Brake Out) ist von genialisch und gräßlich gleich weit entfernt, einige Songs auf harmlose Art ernsthaft, andere auf kratzbürstige Art beschaulich. Und dann ist da „Burn“: „The bigger the better, what the fuck ist the matter, am I undersized, are you oversized?“ 2,5

Seit dem Tod von Jörg Fauser fehlen ACHIM REICHEL die kongenialen Texte, die „Der Spieler“ und „Boxer Kutte“ möglich gemacht haben. Reichel, wg. Rattles und Shanties ein hanseatischer Held, singt jetzt übers „Fahrrad fahrn“ und andere Kleinigkeiten, die Musik dazu ist leicht und versiert und entspricht seinem Wunsch, wie die Musiker auf mediterranen Dorfplätzen spontan aufzutreten. So beschwingt klingt „Oh Ha!“ (WEA) – aber Reicheis schön sprödes, nöliges Hamburgisch verlangt noch immer nach Meer, Schimmelreiter, Matjes. 3,0

Früher sang Julia Lubcke bei Die Fünf Freunde Punk-Chansons, jetzt legt sie das Debüt ihrer neuen Band CONCORD (L’Age D’Or/RTD) vor. Mit dem Wumms der Amps und dem Wahnsinn von PJ Harvey feilt sie an einem eigenen Pop-Song-Modell. Vielversprechend. Wir bleiben auf Beobachtungsposten. 3,5

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