Sting :: 25 Years
Box-Set mit drei CDs, einer DVD und einem Coffee-Table-Bildband
Ein Pastiche in dem üppigen, kostbaren Begleitbuch verrät den Rang, den Gordon Sumner sich selbst in der Weltgeschichte zugedacht hat: Unter dem Titel „History Will Teach Us Nothing“ wurden Sting-Porträts umgepinselt zu Abraham Lincoln, Napoleon, Beethoven, Einstein, Edgar Allan Poe, Che Guevara, George Custer, Lech Walesa, Salvador Allende und Robespierre sowie Mao und Stalin. Hitler fehlt.
Sting mag es also revolutionär, sozialistisch ebenso wie diktatorisch. So führte er The Police, bei denen es aber Stewart Copeland als Danton gab, und so leitete er die Band bewunderter Jazz-Musiker, mit denen er seine besten Platten aufnahm und die für seinen Manager eine Gruppe geldgieriger Schwarzer waren. 1985 erschien „The Dream Of The Blue Turtles“, das verfrühte Meisterwerk, von dem hier sieben Stücke enthalten sind („We Work The Black Seam“ und „Russians“ leider in den späteren orchestralen Fassungen) – und das grandiose „Shadows In The Rain“ ist nicht einmal dabei. Auf drei CDs ist Stings nachlassende Schaffenskraft dokumentiert: von den bloß noch edlen „Soul Cages“ über das hohle Pathos von „Mercury Falling“ zum wohligen Weltmusik-Schmus von „Sacred Love“, dem Bombast von „Symphonicities“ und den altertümlichen Winterliedern.
Die Box „25 Years“ erscheint ein Jahr zu spät, denkt man. Aber vor 25 Jahren starb Gordon Sumners Vater, der Milchmann – und von diesem Moment aus muss man Stings Werk betrachten. Am Sterbebett sagt er zu seinem Vater, wie sehr ihre Hände einander glichen. Und der Vater antwortete: „Ja, aber du hast sie besser benutzt als ich.“ Dies, so Sting, sei das einzige Kompliment gewesen, das er je von seinem Vater gehört habe.
Küchenpsychologisch erklärt das, weshalb der Sohn kurz vor Erreichen der Weltherrschaft, ungefähr mit „Englishman In New York“ im Jahr 1987, Halt machte und bis 1991 keine Platte herausbrachte. Dann schrieb er „Why Should I Cry For You?“ – und der einzige bisher unveröffentlichte Song in diesem Kompendium, das streicherbeschwingte „Never Coming Home“, ist eines von Stings emotionalsten und berührendsten Stücken. Er schrieb über Frauen, die um ihre Liebsten trauern, über den Irrsinn des Ersten Weltkriegs, die atomare Bedrohung, das Wettrüsten, die Zerbrechlichkeit des Menschen und Lazarus, er zitierte Shakespeare und T. S. Eliot, und oft kommt das Herz in seinen Songtexten vor. Doch das Herz des Gordon Sumner ist ein merkwürdig blinder Fleck geblieben. Seine Liebeslieder sind meistens Abschiedslieder wie „Consider Me Gone“ und „If You Love Somebody Set Them Free“ oder Anrufungen: „Be Still My Beating Heart“, „Whenever I Say Your Name“.
Wer also ist Sting? Zwischen all den Fotos im Buch erzählt er uns, dass es nur sieben Geschichten in der Literatur gibt, wie eine schlaue Person einmal festgestellt habe, und dass die Musik sein spirituelles Refugium geworden sei und er stets mit Musikern gearbeitet habe, die besser als er selbst waren. Das Geständnis fällt leicht, denn Sting ist ein besserer Komponist als sie alle, ein besserer Sänger (und Bassist vielleicht auch).
Die DVD zeigt ein Konzert im kleinen Irving Plaza in New York, 2005, mit Dominic Miller und Shayne Fontane an den Gitarren und Josh Freese am Schlagzeug, die noch muskulöser und verzinkter spielen als Andy Summers und Stewart Copeland. Sting bringt seine frühen Geniestreiche „Message In A Bottle“ und „Roxanne“ und so aufgekratzte Stücke wie „Demolition Man“ und „When The World Is Running Down“, und zwischendurch dekonstruiert er „A Day In The Life“ und bringt zwei seiner allerbesten Songs, „Driven To Tears“ und „Synchronicity II“. Er animiert das Publikum, er macht ein paar Bemerkungen zum Abschluss der Tournee und behauptet ganz ruhig, dass er aufgeregt sei. Alles ist schon Pose, bevor er es gesagt hat.
Die größte Pose ist auf dem Umschlag des Buches: Sting steht mit nacktem Oberkörper, eine Gitarre haltend, in einem Fluss. Sein Gesicht sehen wir nicht. (Universal) Arne Willander