Sting The Last Ship :: Im Jahr 1625 gab der schwedische König ein Kriegsschiff in Auftrag, das mehr als 400 Menschen fassen und an zwei Decks mit Kanonen ausgestattet sein sollte. Der Schiffbauer starb über dem Auftrag, seine Frau setzte die Zeichnungen fort; ein Kapitän wurde herangezogen, es ward Winter, das Holz wurde knapp, weil es aus ganzen Stämmen gesägt wurde, die aus schwer zugänglichen Wäldern über wüste Pfade herbeigeschleppt werden mussten. Im Sommer 1628 war schließlich der Stapellauf der Vasa: An jenem Sonntag regte sich kaum ein Lüftchen, die Vasa musste aus dem Hafen gerudert werden und setzte sich dann gemächlich in Bewegung. Bei der ersten starken Böe senkte sich das stolze Schiff auf die Seite, Wasser lief in die Kanonenluken, und binnen Minuten sank die Vasa auf den Grund.
Nach dieser erbaulichen Einleitung weisen wir nicht auf die Parallelen zu Stings neuem Album hin, das „The Last Ship“ heißt, ein Musical ist und vom Schiffbau in Nordengland handelt -oder, in Wahrheit, von einem Jungen, der in den 50er-Jahren neben einer Werft aufgewachsen ist und allerhand erlebt hat. Der Schiffbau ist also bloß eine Metapher für die Wechselwinde des Lebens, für Sturm und Flaute, Luv und Lee, Wanken und Planken. Und der Niedergang der Werften in England spiegelt den Niedergang von allem, was Gordon Sumner an der Vergangenheit gut fand -nämlich auf jeden Fall, dass sie Vergangenheit ist.
Es ist ungefähr das England, dessen Untergang Morrissey seit 30 Jahren betrauert: Noch hat sich die Nation nicht vom Krieg erholt, die Arbeiterklasse hält auf sich und hält zusammen, mit Neureichen will man nichts zu tun haben, und Adelige kennt man nur von ferne. Stings Vater war Milchmann, und manchmal nahm er den Sohn am kalten frühen Morgen bei der Hand und drehte mit ihm seine Runde. Sie wohnten in der Nähe einer Werft. Dann wurde sein Sohn genau der Neureiche und auch noch Bildungsbürger, vor dem der Vater immer gewarnt hatte. Erst auf dem Sterbebett würdigte er die Adaptionsleistung des Sohnes.
„The Last Ship“ ist so sorgfältig kammermusikalisch und folkloristisch entworfen, mit so wunderbaren Arabesken und Ornamenten versehen, mit so feinem Besteck geklöppelt und geschnitzt, so raffiniert und gediegen ausgestattet, dass man andächtig und ehrfürchtig die Kunst des Ingenieurs bedenkt. In den letzten Jahren hatte Sting sich auf Nebenschauplätzen selbst variiert und abgelenkt – nun ist er zum Kerngeschäft zurückgekehrt und hat seine beste Arbeit seit „…All This Time“ fertiggestellt; das war 2001, und das Album enthielt keine neuen Songs.
Aber wird das Schiff auch segeln? Das wohl nicht. Es taugt nur zur wohlgefälligen Betrachtung. (Universal) ARNE WILLANDER
Niedecken
Zosamme alt Der BAP-Chef erweist sich als altersmilder Romantiker
Obwohl diese Platte voller Liebeslieder ist, fehlt das „Liebesleed“ vom BAP-Debüt „Wolfgang Niedecken’s BAP rockt andere kölsche Leeder“ aus dem Jahr 1979. Der damals 27-Jährige wägte da noch zwischen möglichen Romanzen ab, schwärmte von Katharina, Dorothea, Vera, Maria und einer Nora, die wie der Nordpol ist, ihn magnetisch anzieht, aber kalt bleibt – und der er deshalb sagt: „Nä, Kind, mer weede nie zosamme alt.“
Spätestens nach dem Schlaganfall im November 2011 ist die Zeit des Abwägens vorbei. Die Zeit des Bilanzierens („Zugabe“, Teil zwei von Niedeckens Memoiren, erscheint fast zeitgleich mit diesem Album) und des Zusammen-alt-Werdens hat begonnen. Schließlich hat er inzwischen die Frau gefunden, mit der dies möglich zu sein scheint. In dem Song „Zosamme alt“, der das Album eröffnet, resümiert der 62-Jährige zur zwölfsaitigen Gitarre zuversichtlich den Herbstbeginn des Lebens, während aus der Ferne eine Pedal-Steel tönt. Auch sonst fällt Niedeckens Bilanz nie bitter, sondern stets versöhnlich aus.
Niedecken hat die Platte in New York und Woodstock aufgenommen und wie Westernhagen auf „Williamsburg“ hat er für „Zosamme alt“ US-Sessionmusiker wie Larry Campbell (der lange Zeit in Bob Dylans Band Gitarre, die Pedal-Steel-Guitar oder Geige bedient hat) angeheuert. Er inszeniert sich in dieser Liebesliedersammlung als altersweisen Romantiker, der vor allem BAP-Klassikern eine neue, von akustischen Instrumenten geprägte Richtung gibt.
Da ist zum Beispiel „Lena“ von „Comics &Pin-Ups“, das sich damals schon mit einem schwülen Southern-Rock-Groove umgab. In der sparsam instrumentierten Neuinterpretation knistert es noch mehr. In „Rääts um links vum Bahndamm“, das auf „Da Capo“ noch von Klaus Heusers E-Gitarren-Gedudel verunstaltet wurde, erzeugen nun ein E-Klavier und eine Mundharmonika Roadmovie-Atmosphäre. Die Synthiewand, die „Griefbar noh“ auf „X für’n U“ bestimmte, hat einem filigranen Arrangement mit Mandoline und Geige Platz gemacht. Zwar geraten Niedecken die Folk/Americana-Variationen seiner Songs mitunter arg beschaulich und sentimental. Zwischen dem Walzer „Paar Daach fröher“ und dem Rezitativ von „Waat ens jraad“ wechselt der Tonfall kaum. Aber immerhin bietet „Zosamme alt“ schon mal eine hübsche Vorauswahl für die bevorstehende BAP-Unplugged-Tournee. (Universal) GUNTHER REINHARDT