Sufjan Stevens

The Avalanche

Keineswegs Ausschussware: Das zweite Album über Illinois

Man neigt ja dazu, die Dinge etwas überzuinterpretieren nach all den thematischen Pop-Platten „über Amerika“, die in der letzten Zeit erschienen sind (von Neil Young, Bruce Springsteen, Elvis Costello, den Dixie Chicks – bei Platten über Portugal oder Neuseeland stockt die Produktion derzeit eher) aber allein wie Sufjan das Banjo spielt, sein liebes, liebes Banjo: am Anfang von „The Mistress Witch From McClure“, wenn er sich selbst begleitet, zögerlich mit den Fingern im Saiten-Gestrüpp, kühl im Rhythmus gestreichelt wie eine Geliebte, bei der die Sache noch nicht sicher ist. Also: kein handfestes Geplinker, wie es der uramerikanische Country- und Bluegrass-Mann macht, auch kein strammer Anschlag wie der Jazzer oder Pete Seeger höchstpersönlich. Die Musik hier, so metaamerikanisch sie auch ist: kein rotbackiges Bekenntnis, auch keine Heugabel-Waffe, aber wen wundert’s?

Sutjan Stevens, 30, aus Detroit, hat sich vor drei Jahren selbst auf die Landkarte gesetzt, als er mit seinem Programm startete, für jeden der 50 Bundesstaaten ein Album aufzunehmen. Gebrochen hat das Bürschchen die Vorgabe schon jetzt, denn das ist die zweite Platte über Illinois 21 Stücke, die 2005 bei „Come On Feel The Illinois?“ nicht mehr mitgingen und die Stevens in Interviews selbst als mittelwertigen Ausschuss bezeichnet. Pure Koketterie, denn wenn überhaupt, dann ist „The Avalanche“ die noch bessere Platte und eine wie aus tausend Streichhölzchen zusammengefummelte Staaten-Symphonie: atmender Post-Folk, halb akustisch zirpend und unverzerrt elektrisch, der Nostalgie und Niedlichkeit nicht kennt, wie eine saure Geleestange hineingedreht in die Unterhaltungsmusik der großen amerikanischen Selbstfeiern, der Baseballspiele und Vierter-Juli-Feuerwerke.

Die Marching Band tritt immer wieder mit jodelnden Trompeten und Oboen auf, fußlahm natürlich (Stevens spielt die allermeisten Instrumente selbst), manchmal ins Free-Jazzige zerfleddert, während die aufwändig verschachtelten griechischen Chöre zum Beispiel in „Springfield Or Bobby Got A Shed-Fly Caught In His Hair“ plötzlich in einer Crosby-Stills-Nashartigen Harmonie enden. Sufjan Stevens, ein ausdauernder Hauch-Sänger, mag die simple Idylle gar nicht, aber manchmal lässt er sie durchblinzeln.

Kopf-Musik ist das natürlich, die einem ebenso wenig das Herzlein wärmt wie die späten Platten der großen Band Wilco, aber so ist Sufjans Amerika: ein Amerika der Coffee-Shops, der Leute, die nicht körperlich arbeiten und keinen Sonnenbrand kriegen, die den Bush-Protest von Laptops aus organisiert haben. Und es steht uns vielleicht tausendfach näher als das Amerika der glühwarmen Scheunentänze und Flussböschungen. Sufjan Stevens sieht sein Land als große Enzyklopädie, er hat sich das Fragment Illinois angelesen, besingt Regionalgestalten wie Saul Bellow, Gouverneur Adlai Stevenson oder Planet-Pluto-Entdecker Clyde Tombaugh zwar aus der Distanz, doch eben als Einziger überhaupt. Ein Bettkanten-Cheerleader, verkleidet als Superman.

(ROUGH TRADE/SANC TUARY/RTD)