The Chess Story – 1947-1975 :: Die einzigartige Geschichte des legendären, prägenden Blues-Labels
Einer, der es wissen muss, Marshall Chess, bestätigt in einem langen Interview auf der 14. CD dieses voluminösen Box Sets: Ja, das lndie-LabeL, das Vater Leonard und Onkel Phil Ende der 40er Jahre gründeten, hat manche personellen und finanziellen Turbulenzen, am Ende auch den Payola-Skandal überstanden. Aber die immer wieder gern kolportierte Anekdote, Blues-Grandseigneur Muddy Waters habe 1964 wie ein armer Hilfsarbeiter die Wände der Chess-Studios streichen müssen, als dort die Rolling Stones gerade Aufnahmen für die „Five By Five“-EP und das zweite Album einspielten, sei frei erfunden und entbehre jeder Grundlage. Muddy habe doch nicht mal gewusst, wie er sein eigenes Haus hätte tapezieren sollen.
Auf derselben CD ist auch ein ausführliches Interview mit Phil Chess zu hören. Mit 78 erinnert sich der alte Mann noch an erstaunlich viele Details aus den Anfängen und den großen Jahren dieses vielleicht berühmtesten aller Indie-Labels. Da hatte nicht nur einige der größten Blues-Originale, sondern mit Beginn des Rock’n’Roll-Boom zum Glück auch einige der erfolgreichsten Vertreter dieser neuen Pop-„Mode“ unter Vertrag.
Weil Chess Records so stark mit Namen wie Howlin‘ Wolf und Little Walter, Chuck Berry, Etta James und Bo Diddley identifiziert wird, vergisst man darüber manchmal, dass ja auch Doo Wop-Kappellen (Moonglows, Flamingos, Monotones), der aus New Orleans stammende Clarence „Frogtnan“ Henry oder gelegentlich auch Elmore James für die Firma etliche ihrer besten Aufnahmen machten. Auf den ersten 13 von 15 CDs in dieser Box findet man sie alle – mit ihren Single-Veröffentlichungen. „The Chess Story“ dokumentiert nämlich die Firmengeschichte nicht in Form irgendeiner „Best OPoder „Greatest Hits“-Nachlese. Bei den 340 Aufnahmen handelt es sich ausnahmslos um Singles der verschiedenen Chess-Labels.
Als Katalysator für die Rockmusik funktionierte diese Firma so lange intakt, bis sie 1969 an GRP verkauft wurde und mit dem Rausschmiß von Phil Chess der Anfang vom Ende begann. Der als Top-Manager installierte Marshall Chess kümmerte sich damals mehr um die Belange der neuen Klienten, die er 1964 kennengelernt hatte. Und wie die Rolling Stones war er – wie er launig im Interview erzählt – viel zu stark auf einen längeren Drogentrip gegangen, als daß er noch den Gang der Dinge in Sachen Künstlerpolitik bei Chess hätte steuern können.
Ein Treppenwitz in der Geschichte des Labels war auch, dass Chuck Berry 1972 ausgerechnet mit einer Live-Aufnahme des schmuddeligen „My Ding-A-Ling“ seinen einzigen Nr. 1-Hit überhaupt hatte. Unterschlagen mochte man den der historischen Korrektheit halber bei diesem Box Set nicht VJfeil die berühmtesten dieser Aufnahmen eh in keiner ordentlichen Plattensammlung fehlen dürften, wählte man für diese Retrospektive – wo immer vorhanden – längere und/oder Alternativ-Mixes der für die Singles gekürzte n Versionen. Weshalb hier für den Sammlerwert sogar am Ende die Höchstnote angesagt war. 5,0