The Mars Volta :: Noctourniquet

Surreale Kopfgeburt von der Band aus der Krachmacherstraße.

Was einem so alles durch den wirren Kopf gehen kann, wenn man darüber nachdenkt, wovon die nächste Platte handeln könnte: Zombie und DC-Superschurke Solomon Grundy, der attraktive Hyakinthos aus der griechischen Mythologie – eines der frühesten Opfer des Spitzensports, das von einem Diskus des Apoll tödlich verwundet wurde – und die britische Rockformation The Godfathers. Von dieser kruden Mischung haben sich die beiden Gründer von The Mars Volta, Omar Rodriguez-Lopez und Cedric Bixler-Zavala, zum neuen Album „Noctourniquet“ inspirieren lassen, dessen Stilrichtung vollmundig als „Future Punk“ definiert wurde, was sich nach einem inneren Widerspruch anhört und schließlich auch nicht eingelöst wird.

Von Punk kann jedenfalls keine Rede sein. Und auch wenn die Grammy-Gewinner laut eigener Aussage dem Hammond-Orgel-Gedöns, dem Conga-Geklöppel und dem Santana-Gegniedel abgeschworen haben – das, was sie hier spielen, ist trotzdem großkopferter Prog- und Spacerock der Marke Eigenbau, mit zahllosen Anspielungen aufs Kunstkino („Zed And Two Naughts“), auf B-Movies („The Whip Hand“) und antike Philosophen. In „Aegis“ klingt die Band aus der Krachmacherstraße von El Paso anfangs gar wie Radiohead, bevor die Mannen um Thom Yorke in Richtung Inkommensurabilität abgebogen sind.

Das strapaziöse dramaturgische Konzept, das eine vom Ambient beeinflusste, siebenminütige Nummer wie „In Absentia“, das dräuende „The Malkin Jewel“ und ein zwischen Elegie und Kakofonie schwebendes „Empty Vessels Make The Loudest Sound“ unter einen Hut bringt, geht allerdings weitgehend auf. „Noctourniquet“ hält die Spannung hoch, verlangt dem Hörer einiges ab, lässt Fistelstimmen und psychedelische Experimente jedoch nicht Überhand nehmen. Eine laute und anstrengende, manchmal aber auch seltsam schöne Kopfgeburt. (Warner) Alexander Müller

Beste Songs: „The Malkin Jewel“, „The Whip Hand“

Perfume Genius ***¿

Put Your Back N2 It

Mike Hadreas zelebriert wieder seine Sehnsuchtsmusik.

Man darf Feierlichkeit nicht mit Traurigkeit verwechseln. Nicht bei Bon Iver, Scott Matthew oder Antony & The Johnsons, nicht bei Perfume Genius. Obwohl gerade diesem jungen Sänger aus Seattle nachgesagt wird, seine Stimme klinge immer so, als ob er kurz vor dem Heulen wäre. Das stimmt zwar. Aber es ist sicher kein Heulen aus Verzweiflung oder Schmerz (wie viele automatisch denken), eher aus Rührung, aus fast religiöser Ergriffenheit und Sprachlosigkeit. Wie kurz nach dem Orgasmus.

Perfume Genius – eigentlich Mike Hadreas, Einsamkeitskünstler – hat ja kürzlich mit einem Video Aufsehen erregt, in dem er als nacktes Baby von einem Pornoschauspieler gehegt und geschminkt wird. Natürlich sollte man ihn und seine Brüder im Geiste nicht immer nur aufs Homoerotische reduzieren, aber irgendwie kristallisiert sich das hier doch langsam als Blueprint einer schwulen Sehnsuchtsmusik heraus – die schwindsüchtigen Akkordfolgen, gespielt auf Klavieren, die sich anhören, als wären sie mit Meerwasser gefüllt. Celli, Bläser und andere Kammermusikinstrumente, ein eher einsames, verhalltes Nebeneinander der Klänge als die große Allversöhnung. Der Gesang, bei dem man nie weiß, auf welcher Seite des Jenseits man sich selbst gerade befindet – nur dass er von der anderen herüberklingt. Sowas wie das Gegenstück zur Hetero-Rockballade für Carrie oder Mary.

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