The Melvins Lite :: Freak Puke
Rock, Noise, McCartney: Das US-Trio sägt und dröhnt wieder
Das aktuelle Promo-Foto zeigt drei gut gelaunte End-Vierziger. Dem einem wächst ein gigantischer Busch wirrer weißgrauer Haare aus dem Kopf, die beiden anderen tragen schwarze Stahlhelme in alter Wehrmachts-Biker-Tradition: King Buzzo, Dale Crover und Trevor Dunn sind die jüngste Inkarnation der Melvins. Neckisch haben sie ihrem Namen – seit fast 30 Jahren ein Trademark für staubtrockenen radioaktiven Heavy-Sound – ein „Lite“ angehängt. So als würde Kurt Cobains Lieblingsband Musik machen für gut aussehende Twentysomethings, wie sie sonst in der Pro-7-Werbung verträumt in die Sonne blinzeln. Typen, die vollen Genuss wollen, aber ohne Kalorien. Doch der „Lite“-Anhänger ist nur ein typischer Melvins-Spaß, so wie früher ihre Coverversionen von Teen-Popsongs.
„Freak Puke“ beginnt mit ungesundem Dröhnen und Sägen. Es ist ein gestrichener Stehbass, den das Ex-Mr.-Bungle-Mitglied Trevor Dunn auf dem gesamten Album spielt, ein eher rockuntypisches Instrument, das für einen bösen Unterton sorgt: Wie eine giftig schillernde Schnecke kriecht „Mr Rip-Off“ ins Klangbild, auch die lauernden Gitarrenfiguren von King Buzzo wollen zubeißen, keine Frage. Doch eine befreiende Entladung gehört nicht zum Konzept der Melvins. „Inner Ear Rupture“ und der „Warm Farm Waltz“ schwelgen ebenfalls in dieser sonderbaren Mischung aus Hardrock und ambitionierter New Yorker Noise-Tradition. Es wird gesägt und gerifft, dass es eine Art hat. Black Flag und Black Sabbath standen dabei ebenso Pate wie die Werke von John Zorn und Label-Boss Mike Patton. Da ist es fast erstaunlich, dass es schließlich einen Song von Paul McCartney zu hören gibt. „Let Me Roll It“, einst mit den Wings entstanden, ist das souverän gerockte Statement von ein paar „Männern in den besten Jahren“: „You gave me something I understand/ You gave me loving in the palm of my hand.“ Damit niemand auf dumme Gedanken kommt, endet „Freak Puke“ mit der zehnminütigen freien Improvisation „Tommy Goes Beserk“.
Wenn ich an die Melvins denke, geht mir oft die Zeile aus dem alten Neil-Young-Schlager durch den Kopf: „Hey hey, my my, Rock’n’Roll will never die.“ Genau wie Young sind auch die Melvins mürrische alte Männer, die argwöhnisch, aber liebevoll über das Erbe ihrer Helden wachen, um es notfalls doch in einer gewaltigen Rückkopplung in die Zukunft zu schießen. Oder, um es mit einem Titel von „Freak Puke“ zu sagen: „Holy Barbarians“. (Ipecac/Soulfood) Jürgen Ziemer
Beste Songs: „Mr. Rip-Off“, „Let Me Roll It“