THE ROLLING STONES – No Security :: Virgin
Eigentlich hatte man diesmal auf das beinahe obligate Live-Souvenir verzichten wollen. „Shit not another live album“, gab Keith Richards noch nach dem Leitersturz zu Protokoll. Allerdings hatte der Welt unzerstörbarste Lebensform vor der globalen Usurpations-Revue „Bridges 1° Babylon“ auch verlautbart, man werde sich diesmal bescheiden, was Umfang und Umsatz der Unternehmung betrifft. Lächerlich. Die Tour nahm wahrhaft babylonische Ausmaße an, kaum ein Stadion wurde ausgelassen, jeder denkbare Rekord gebrochen. „Keine Ahnung, wie das kam“, versichert der Rif&neister so treuherzig wie glaubhaft. Und wieso dann jetzt doch noch ein Konzert-Mitschnitt? „Okay, it’s live“, räumt Keef ein, „but it’s different.“
Das immerhin stimmt fom herrlich süffisant-prolligen Rockerpärchen-Cover bis zur mutigen Materialauslese nimmt J^o Security“ im Reigen der bisherigen Live-Platten eine Sonderstellung ein. Statt der hyperpopulären Hits der berühmten home-straight fast nur Songs, die selten oder nie zu Live-Ehren kämmen. Aufgenommen in Amsterdam, Buenos Aires, Nürnberg und St Louis, sind die 13 Tracks wohl alle Klassiker, die meisten freilich nur in Fan-Kreisen.
„Ybu Got Me Rocking“ macht die Vorhut, viel zu schleppend allerdings und für einen LP-Opener wenig überzeugend. Mit „Gimme Shelter“ beginnen die Stones dann richtig zu rocken,schlierig und bedrohlich, Lisa Fishers Falsett-Geheul fast so lang und sexy wie ihre Beine, Mick Jagger souverän. Nur sein gegen Ende repetiertes „Gimme shelter… yeah“ wirkt etwas aufgesetzt, wie eine Konzession an die schaulustige Mehrheit der noch Uneingeweihten.
„Flip The Switch“ hat live ungeheuer gewonnen. Keefs spiraliges Open-Tuning-Riff bläst die Ohren durch, der Chor liegt adäquat knapp daneben, und Micks Henker-Lyrik zeitigt Irritation. Dead men rocking. Dann „Memory Motel“: episch und schöööön. Die Glimmer Twins wechseln einander am Mikro ab. Doch was ist das, Schockschwerenot? Wer wagt es, hier dazwischenzuknödeln? Es ist, oh Graus, Dave Matthews. Amerikas Darling, der Held des mittleren Westens, der Huey Lewis der Neunziger. Blasphemie! Warum nur, warum? Fast forward. Noch ein Gast. Doch keine Bange, es ist Taj Mahal, den Stones schon seit den Tagen des „Rock’n’Roll Circus“ auf das engste verbunden. Für sein „Corinna“ treten die Headliner gern einen Schritt zurück, agieren als The Band. Großartig.
Zigtausende Football-konditionierte, sangesfreudige Argentinier hängen sich bei „Saint Of Me“ rein, als gäbe es kein Morgen. Joshua Redmans lyrisches Saxophon adelt „Waiting On A Friend“, das Tune so exquisit und elegant wie eh und je. Absoluter Höhepunkt von JJo Security“ ist jedoch „Sister Morphine“: Jagger waidwund, das Gitarren-Interplay zwischen Lead und Slide dunkel und dräuend, die Atmosphäre so dicht, wie sie in einem Stadion nur sein kann. „Live With Me“ und „Respectable“ poltern toll, wenn auch nicht so ausgelassen und losgelassen wie beim Gig in der Berliner Waldbühne, wo die Stones stellenweise furios und frenetisch klangen wie eine Garagen-Combo. Keefs hübsch souliger „Thief In The Night“ schließt sich an, das von Mick zu ausladend phrasierte „The Last Time“ – und schließlich der Crowd-Pleaser „Out Of Control“, der im Laufe der Tour eine immer zentralere Rolle spielte und dem weder die Blähung auf über sieben Minuten etwas anhaben konnte, noch der dramaturgische Ballast aus Wah-Wah-Gitarren, Orgel-Drama, gestopften Trompeten und Jaggers recht fulminanter Harmonika-Einlage. Riskant, selbst für die Stones. Doch was die nicht umbringt, macht sie bekanntlich besser.
Vieles vermißt man auf „No Security“: „Dead Flowers“, „Let It Bleed“, „19th Nervous Breakdown“, „Love Is Strong“, die Liste ist lang. Doch das Positive überwiegt: Der Sound ist nicht so geschniegelt wie auf fjlashpomt“ und nicht so leblos wie auf „StillLife“, dasSequencing ist inspiriert, und mit musikalischen Leckerbissen wird nicht gegeizt Abo auflegen und aufdrehen: get yer ya-ya’s out!