The Story Of Film :: Regie: Mark Cousins

Es ist ein wahnwitziges Vorhaben: Die ganze Filmgeschichte in nur 900 Minuten. Denn genau genommen sind 15 Stunden für 120 Jahre natürlich gar nichts. Obwohl das Publikum bei den bisherigen Aufführungen von „The Story Of Film“ erstaunliches Sitzfleisch bewies, ist der Film wie gemacht für die DVD – man kann sich hier ein Wochenende in der Filmgeschichte verkriechen oder zwei Wochen lang jeden Tag eine Folge sehen; vor allem kann man einiges immer wieder angucken, quasi nachschlagen in den Epochen.

Es ist auch ein sehr sympathisches Unterfangen. Schon deshalb, weil Regisseur Mark Cousins, ein Filmkritiker, der bereits 2004 ein sehr erfolgreiches Buch mit dem gleichen Titel geschrieben hat, ein Kinobegeisterter ist, ein Filmfresser, der einem sehr vieles nahebringt, was man nicht kannte, und trotzdem eine eher lässige, unpädagogische Art hat, durch die auch komplizierte Dinge zu einer vergnüglichen Angelegenheit werden.

Tatsächlich hat Cousins natürlich sehr wohl seine Ansichten und schmuggelt in seine freundliche, scheinbar unvoreingenommene Vorstellung der Kinogeschichte durchaus eine Menge starker Thesen hinein. Und über einige davon könnte man lange streiten. Der grundsätzliche Ansatz ist der, dass „The Story Of Film“, laut Untertitel eine „Odyssee“, einerseits die Kinogeschichte neu aufrollt, dazu aber oft mit dem alten Gegensatzpaar klassisch/romantisch arbeitet. Klassisch ist dabei das Gute: Hollywood ist nicht klassisch, Japan schon, Griffith überschätzt, und ein Film wie „Casablanca“ sei „too romantic to be classic“.

Angesichts solcher Behauptungen hätte sich der deutsche Verleih etwas mehr Mühe mit den Untertiteln geben dürfen, die schon deshalb dringend nötig sind, weil man die deutsche Synchronisation nicht lange erträgt (was nicht an dem Sprecher Knut Elstermann liegt, sondern an den wirklich miesen Übersetzungen der im Original in lakonischem, irisch angehauchtem Englisch vorgetragenen Texte). Da wird aber dann „graceful“ mit elegant übersetzt statt mit „anmutig“, René Clair wird eine Frau, Lynne Ramsay ein Mann und dergleichen Schnellschüsse mehr. Die große Stärke des Films ist die Erzeugung von Empathie, von Begeisterung für die Großartigkeit des Mediums -„this is cinema!“ -, die Überzeugung, dass Ton und Licht so etwas wie Wahrheit zur Erscheinung bringen können. Zwischendurch kommt einem schon einmal in den Sinn, dass hier Kino als Religion präsentiert wird. Die zweite Stärke ist Cousins‘ Sinn fürs Technische – immer wieder zeigt und erklärt er, wie die Filmemacher ihre Illusionen herstellten. Nicht Geld, sondern Ideen seien Antrieb des Fortschritts, so Cousins.

Eine Schwäche ist sicherlich seine Vorliebe für einen etwas altbackenen Begriff von Autorenkino, der die Sicht auf einige eigentlich sehr interessante Dinge versperrt: Seine Lieblinge sind asketisch, kühl, perfektionistisch, sie arbeiten mit langen Einstellungen, gefallen sich darin, Zuschauererwartungen zu enttäuschen, und teilen einen versteckten „transcendental style“ (Paul Schrader): Bresson, Ozu, Welles. Das kann auf die Dauer ermüden.

Und dafür, dass der Regisseur Hollywood eigentlich verachtet, fängt dann doch ziemlich oft in diesen Episoden alles in Amerika an. Das europäische Kino vor 1932 kennt Cousins dagegen nicht gut, hakt schnell nur die üblichen Verdächtigen ab. Von Murnau zeigt er „Sunrise“, aber weder „Nosferatu“ noch „Faust“, und die Neue Sachlichkeit von Pabst, Ruttmann und anderen fällt ganz weg. Solche Dinge sind deshalb bedauerlich, weil gerade eine dissidente Geschichte des Kinos seine Pluralität in der damaligen Zeit betonen könnte, um zu zeigen, was Hollywood schon vor der Emigrantenwelle der Dreißiger den Franzosen, Italienern, Skandinaviern, Sowjets und den Deutschen verdankt.

Obwohl also das Ziel von Anfang an feststeht, verschlägt einen diese Odyssee immer wieder an unbekannte Strände, zeigt Überraschendes und Spannendes – besonders, wenn Cousins die Chronologie verlässt und über die Epochen hinweg Bezüge herstellt. Vor allem taugt die „Story Of Film“ aber zur Filmschule, die an nur scheinbar banale Einsichten erinnert: Dadurch, dass das Kino den Raum und die Zeit fragmentiert, dass es durch Phantomfahrten und Close-ups gesteigerte Augenblicke erzeugt, gelingt ihm nichts Geringeres als die Neuerschaffung der Welt. „There were no flashbacks in Shakespeare.“ (Studio Canal)

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