Tipp: Nymph()maniac 1 + 2 :: Regie: Lars von Trier

Dass „Nymphomaniac“ kein Pornofilm ist, dürfte sich herumgesprochen haben. Aber was ist er dann? Die beiden eng zusammenhängenden Teile des Films – der erste startete bereits im Februar – sind verspielt, auch da, wo sie, wie alles von Regisseur Lars von Trier­, irgendwann ums eigene Universum kreisen. Man kann oft lachen, manchmal nur kopfschüttelnd: über das, was dem Mann da wieder eingefallen ist, und darüber, was für einen Quatsch er sich traut, den man sowieso niemandem außer ihm durchgehen ließe. Meiste lacht man aber doch wohlwollend: über himmelschreiend komische und wunderbar sarkas­tische Momente. „Nymphomaniac“ ist schließlich ein Film über die Gesellschaft von heute, und Über-sich-lachen-Können ist nie schlecht. Es gibt Momente, da spürt man, dass von Trier selbst mitlacht. Trotzdem ist dies keine Komödie, dafür durchzieht viel zu viel heiliger Ernst das ganze Unternehmen, auch viel zu viel Trauer, Depression, wohlfahrtsstaatliche Tristesse grauer Mauern und grauer Tapeten.

Eine nicht mehr ganz junge Frau namens Joe (Charlotte Gainsbourg) wird zu Beginn offensichtlich zusammengeschlagen auf der Straße aufgelesen. Ihr Samariter heißt Seligman (gespielt von Stellan Skarsgård), und der hört der Frau dann in einem ziemlich hässlichen Schlafzimmer dabei zu, wie sie ihre Lebensgeschichte erzählt. Die Rahmenhandlung erinnert an eine Beichte und Seligman an einen gütigen, unendlich geduldigen Priester. Das alte Europa im Angesicht der Invasion einer jungen Generation ungebildeter Barbaren.

Dazwischen: Sünden, Stellungen, Körperflüssigkeiten – ein dänisches Kamasutra, im recht säuberlichen, strengen Muster von Episoden und Kapiteln voranschreitend. Dazu kommen Zahlenmystik sowie Verweise auf Fibonacci-Zahlen und auf deren Beziehung zur Musik. Das ist Bildungsgut und kommt daher von der Seligman-Figur, die zudem keusch lebt wie ein Mönch (von Trier ist ein Konservativer, für den Bücherlesen und Sex offenbar grundsätzlich unvereinbare Dinge sind) und dessen Funktion im Film darin besteht, Gainsbourgs Joe gewissermaßen heiligzusprechen:

Ihre sexuellen Erlebnisse haben höhere Bedeutung, der Sex ist Mittel zur Kommunikation mit Gott, und die zwanghafte Nymphomanin hat ihre Passionsgeschichte nur erlebt, um wie einst Jesus stellvertretend die Sünden der Menschheit auf sich zu nehmen. Vielleicht, denkt man irgendwann, wird Sex zur Zeit einfach ein bisschen überschätzt, auch von Lars von Trier, vielleicht sollte man ihn zumindest nicht metaphysisch überhöhen, ihm nicht aufbürden, Mittel zur Selbst-erkenntnis zu werden.

Die unausgesprochene Paradoxie von „Nymphomaniac“ ist, dass von Trier die trockenen Thesen für uns im Publikum sichtbar machen und in Bilder verwandeln muss. So sieht man hübschen Menschen beim Kopulieren zu, und auch wenn sie dabei selten glücklich aussehen, eher gestresst, sind sie wenigstens leicht bekleidet. Der Film besteht aus grandiosen Miniaturen, kleinen Szenen, die für sich wie Kurzfilme funktionieren – Uma Thurmans Auftritt als melodramatische Zicke oder Connie Nielsen als Mutter der Hauptfigur,  eine großartige Splitscreen-Sequenz zu Bach-Musik.

Pornografisch geht es auch zu – jedenfalls im Sinn eines Gesetzes, nach dem Pornografie dann vorliegt, wenn primäre Geschlechtsteile des Menschen in Aktion gezeigt werden. Andererseits ist das alles andere als lustvoll und erregend. Pornografie dient diesem Regisseur zur Darstellung der Entgrenzung, der Überschreitung von Grenzen, zugleich der Selbstaufhebung. Vor allem aber ist der Sex trotz des vielen Geredes und Gezeiges nicht die Hauptsache: Statt Eros geht es mehr um Thanatos, den Tod. Sex ist ein Mittel zur Beschleunigung des Endes und auch dazu, uns bis zum Ende die Zeit zu vertreiben – mit Kabbalistik, SM, Kierkegaard, Naturwissenschaft, Sexsucht, Edgar Allan Poe. „Im Grunde warten wir nur auf die Erlaubnis zu sterben“, heißt es an zentraler Stelle.

Während der erste Teil eine Art Éducation sentimentale einer sexsüchtigen Arzttochter bietet, wird es im zweiten unsentimental und gröber: Da spreizt sich manches, unter anderem der Regisseur als Großinquisitor seiner Figuren und seines Publikums. Denn ohne Frage entfaltet er hier eine moralisierende, im Kern antilibertäre Agenda mit kulturpessimistischer Volte: Wo es ernst wird, ist „ Nymphomaniac“ ein Manifest gegen die Liebe – von ihrer „Revolution gegen die liebesfixierte Gesellschaft“ spricht die Heldin –, gegen Hedonismus und die Sexbesessenheit der Gegenwart. Zugleich verfällt der Film dieser natürlich auch und verspottet alle konservativen Moralvorstellungen. Kein Porno also, sondern die totale Therapie.

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