TITANIC von James Cameron :: ab 8. Januar
Menschheitstraum Größenwahn. Alte Schwarzweiß-Bilder von euphorisierten Menschenmassen vor der „Titanic“ flimmern grobkörnig auf der Leinwand, dann verschwommene Videoaufhahmen des auf dem Grund des Ozeans mit Rost und Algen überwucherten Wracks, schließlich rasant montierte Szenen eines jungen Pärchens beim Flirten und auf seiner Flucht vor dem Wasser. Bevor sich der Vorhang in Hamburgs zweitgrößtem Kinosaal zur ersten Pressevorfiihrung von „Titanic“ hebt, läuft dieser Cross-Promotion-Trailer des Twentieth Century Fox-Filmverleihs und den Organisatoren der „Titanic“-Ausstellung in Hamburg. Ihr Motto zur Moral: „Höher, weiter, tiefer“. Wir sollen sehen, was wirklich wichtig ist. Wir haben verstanden. Die Präsentation der Artefakte, bisher von 350 000 Besuchern ehrfürchtig bestaunt, werde bis Ende Januar verlängert, informiert ein Angestellter der Fox und erklärt, sie seien „stolz darauf, was James Cameron in zweieinhalb Jahren geschaffen hat“. Was soll der Arme denn anderes verlautbaren als Schulterklopfen und Zuversicht, auch wenn er damit der aufdringlichen Mahnung im eigenen Werbespot widerspricht und also das Übel bestätigt. Die Superlative sind zwingender: Mehr als 250 Millionen Dollar für ein fast dreieinhalbstündiges Katastrophen-Epos in zweieinhalb Jahren. Nicht wenige erwarten einen Flop – aber noch mehr werden den Flop sehen wollen. Camerons Vorgänger in diesen lichten Budgethöhen, Michael Cimino mit „Heaven’s Gate“ und Kevin Costner bei „Waterworld“, hatten Geld und ihre Reputation eingebüßt. Mittlerweile gilt „Heaven’s Gate“ aber als Klassiker, und „Waterworld“ strahlt, teuer eingekauft, der Pay-TV-Sender premiere aus. Resurrection, baby!
Bei Cameron ging es immer ums Überleben: Er schrieb das Drehbuch für „Rambo 2“ und drehte „Alien 2“. Sein „Terminator“ will das letzte widerspenstige Leben auslöschen, bevor es gezeugt wird, um den Robotern den Endsieg über die Menschheit zu ermöglichen, und wird dann in „T2“ fast selbst Opfer eines überlegenderen Cyborg-Modells. Seine „True Lies“ handeln vom Tod im Kino und dem Tod einer Kinofigur im wahren Leben. Und die „Titanic“ ist ein alttestamentarisches Fanal gegen die Vermessenheit, deren Triumph der Technik schnöde von einem dahindümpelnden Eiswürfel erledigt wird. Die Hybris dokumentiert Cameron aber nur am Rande, mit dem aufgeregten Gewimmel am Pier, im gutmütigen Gesicht des weißbärtigen, teetrinkenden Kapitäns, in Nebensätzen beim Dinner des Eigners der „White Star Line“ und in der Person des Konstrukteurs. Den groben Hochmut personifiziert der schwerreiche Schnösel Cal (Billy Zane), der seine aufmüpfige, zukünftige Braut Rose (Kate Winslet) ohrfeigt und erklärt: „Du gehörst mir.“ Doch sie verliebt sich in den vagabundierenden, jungen Zeichner Jack (Leonardo Di-Caprio). Cameron stemmt dem Gigantenschiffso ein Gefühl entgegen. Und hat sich dabei verhoben.
Die Romanze im April 1912 ist in einer 1996 datierten Geschichte eingebettet. Mit allerlei High Tech-Gerät wollen Schatzsucher aus der „Titanic“ einen blauen Diamanten bergen, doch im gehobenen Safe finden sie nur die Zeichnung eines nackten Mädchens, das jenes Schmuckstück um den Hals trägt Die Unbekannte ist eine Überlebende und noch immer am Leben. Als sie im Fernsehen vom Fund erfahrt, läßt sich die zittrige Zeitzeugin auf das Schiff der Taucher an der Unglücksstelle fliegen und erzählt der Crew ihre rührende Liebestragödie. Wie Jack um fünf vor zwölf beim Poker das Ticket für die Überfahrt gewinnt und gerade noch das Schiff erreicht. Wie sie sich heulend vom Heck aus ins Wasser stürzen will, um dem goldenen Ehekäfig zu entgehen, und Jack sie mit einigen beherzten Komplimenten davon abhält. Ihre Off-Kommentare nerven, da sie erläutern, was der Ablauf zeigen müßte, aber ihre brüchige Stimme ist ein sentimentales Stilmittel.
Mit jener betagten Dame erzwingt Cameron seine Geschichte, weil er halt doch nicht nur vorführen kann, wie man fotogen einen riesigen Stahlklotz versenkt. Das glanzlose Geplänkel der Nebenbuhler aus den verschiedenen Klassen, manch amüsanter Dialog und das übliche Amüsement an Bord dauert fast zwei Stunden, doch zwischen Kaviar und Kaffeekränzchen, Guinnes und irischem Folk, Zigarre im Herrenclub und johlendem Armdrücken in den unteren Decks ist Cameron kaum etwas Originelles eingefallen. Jack kann nicht mit Bestecken umgehen und zeigt Rose, wie man ordentlich über die Reling spukt – und Cal ist das Arschloch, ein mieser Verlierer und Feigling dazu. Es ist ein Märchen, die Melodramatik schlechthin, vor allem wenn die Bühne die „Titanic“ ist, der ewigliche stählerne Mythos. Ach, wie schaudert es wohlig.
Cameron ist kein Geschichtenerzähler, mehr ein Logistiker. „Titanic“ protzt, analog zur echten „Titanic“, mit Luxus und seinen Bauten. Die Klischees leuchten die Atmosphäre aus, die Menschen drappiert er wie Marionetten zwischen den Kulissen bis zum Showdown. Auf der Flucht vor Cals Sekretär (Bill Paxton) landen Jack und Rose im Laderaum auf dem Rücksitz eines Autos, und von ihrem Liebesschweiß beschlagen sich die Fenster. Danach rennen sie zum Bug, lachen und küssen sich leidenschaftlich. Die zwei Posten im Ausguck starren hinunter, und als einer wieder aufschaut, nach vorne, ist da plötzlich dieser Eisberg. Da läßt einer die „Titanic“ detailiert nachbauen, um darauf ein junges Glück als unschuldige Ursache des Unglücks zu erfinden. Immerhin beginnt nun erst der Film, wie man ihn von Cameron kennt. Action, baby!
Im Maschinenraum löschen rußgeschwärzte, herkuleske Heizer ihre monolithischen Höllenkessel, die zyklopische Bolzen und Schwungräder antreiben, deren stampfender Rhythmus wagnerianischen Trommelwirbeln gleicht Der Dampfer schrammt am Eisberg entlang, und der Rumpf wird aufgeschlitzt wie eine menschliche Bauchdecke. Zunächst gluckert das Wasser gemächlich in die Gänge, drohend wie ein Reptil, noch trotten die Passagiere der 1. Klasse ruhig zu den Rettungsbooten. Doch je mehr sich der Bug in die Tiefe neigt, desto höher steigt die Panik. Cameron läßt die Bullaugen platzen wie Einschußlöcher, Wasserfontänen knallen wie Kanonenschüsse, aber in pittoresken Totalen ähnelt die „Titanic“ eher einem gefällten Christbaum. Rose befreit derweil Jack, der unter Deck mit Handschellen eingesperrt wurde, da Cal ihn beschuldigt, den Diamanten gestohlen zu haben. Sie hangeln sich an Rohren entlang, bedroht von den Fluten und behindert von erbärmlichen Stewarts, klammern sich an jene Stelle des Heck, wo er sie ins Leben zurückgezogen hatte. Kathedralenhaft erhebt es sich mit seinen wuchtigen Schrauben wie ein Raumschiff, oben fiinkem Sterne, unten gurgelt Meeresschaum. Als alles vorbei ist, treiben hunderte vereiste Leichen im Eismeer. Ein Schlachtfeld.
Sieht schön aus. Das war’s. Hasta la vista, baby!