Tom Waits :: Mule Variations :: Epitaph/Pias/Connected
EPITAPH/PIAS/CONNECIED Dieser Mann hat für die populäre Musik ungefähr das geleistet, was Humphrey Bogart (vulgo Sam) mit „Casablanca“ für den Film tat: Sitzt jemand in einer verrauchten Kneipe am Klavier und singt traurige Lieder, sieht dazu noch aus wie ein geprügelter Landstreicher – hey, wie Tom Waits! Auch Leute, die ein Abonnement fürs Schauspielhaus haben, kennen Waits und denken bei seinem Namen an Robert Wilsons „Black Rider“, ein Stück, für das Onkel Tom noch mal sein gesamtes Repertoire an Friedhofs-, Kirmes-, Karnevals- und Kindermelodien auskübelte. Kultur! Waits spielte natürlich auch in Filmen von Coppola und Jarmusch – der Kinogänger erinnert sich mindestens an „Down By Law“. Kult! Das Kunstgewerbe tat Tom Waits nicht gut – sein Soundtrack zu „Night On Earth“ unterbrach eine Serie von Großtaten, wie sie kaum einem Dutzend Songschreiber in ihrem Leben gelungen ist. Immer war Waits gut, aber mit dem Alter wurde er stetig kauziger und besser. Früher schrieb Waits Songs wie Jersey Girl“ und „Waltzing Mathilda“, gab den Trinker und Bohemien und mußte es geschehen lassen, daß Bruce Springsteen und Rod Stewart seine Lieder ins Triviale zerrten. Erst 1983 drehte Waits allen eine Nase und brachte eine Platte heraus, wie es noch keine gegeben hatte. Um mal eine Hausnummer zu nennen, schreibe ich jetzt etwas Ungeheuerliches: Ich gäbe tausend „Exile On Main Street“ für nur eine „Srwrdfishtmmbones“.
Man muß immer wieder hören, wie Waits ein Stück, „60 Shells From A ThirDer große Tom Waits kehrt mit einem souveränen, gelassenen Spätwerk zurück Tonträgerty-Ought Six , um Schlagwerk, Baß und einen stählernen Groove baut es klingt, als swinge eine Betonmischmaschine auf der Baustelle, und der Preßlufthammer tanzt Oder diese Klavier-Petitesse Johnsburg, Illinois“, in der Waits röchelt: „There’s a place on my arm/ Where Fve written your name next to mine.“ Es ist so kitschig, daß es eine Art hat. Das Instrumental „Rainbirds“ rührte eine kleine Frau so sehr, daß sie später ihre Band so nannte. Waits war stets auch ein Musiker für Musiker, denn bei ihm spielten seit „Swordßshtrombones“ ausschließlich Meister. Bloß daß jeder Musiker sofort verzweifeln und nie wieder ein Instrument bedienen sollte, wenn er ,$am Dogs“ und „Fntnk’s Wild Years“ gehört hat. Die Weise, in der Michael Blair die Marimba, die Congas und sonstwas schlägt, findet man bestenfalls bei greisen Kubanern. Marc Ribot deprimiert Gitarristen mit der Einsicht, daß er noch mit den Tönen, die er nicht spielt, besser ist als jeder Technik-Gniedler. Der phantastische Greg Cohen begleitete Waits lange am Baß. Und William Schimmel spielt auf dem absurd unterschätzten Album JFrank’s Wild Years“ das Akkordeon und die Pump-Orgel, daß einem die Tränen kommen. Die klischeehafte öffentliche Wahrnehmung des Tom Waits, an der er nicht unschuldig ist, verstellt den Blick auf die Präzision, mit der er die sogenannte Patina, die Atmosphäre seiner Musik entwirft. Der unfaßbare Quatsch, es handle sich um eine „Barth/“, den „Müllmann des amerikanischen Traums“, wurde jahrzehntelang transportiert. Waits hatte auf dem Rücksitz eines Buick zu schlafen, Schnaps aus der Papptüte zu saufen und skurrile Geschichten zu erzählen. Er hatte Irre zu spielen und schmutzig auszusehen, und seine Stimme mußte verläßlich heiser sein – wie „Schmirgelpapier“. So machten sich die Deutschen ihren Tom Waits, und die Amerikaner machten ihn sich genauso. Waits aber ist in Wahrheit ein Genie und ein Romantiker, und er weiß außerdem jederzeit, was Sache ist. Kino und Theater sind gute Sachen, denn sie bringen Geld für eine Musik, die sonst niemand hören würde. Sie haben ihn berühmt gemacht Und Tourneen sind schlechte Sachen, weil man da schlecht schläft und schlecht bezahlt wird. Ein sehr begabter Songschreiber hat vielleicht eine Platte der Klasse von „Sjmrdfishtwmbones“ in sich.
Tom Waits hatte mehr, und 1992 wurde er unsterblich: ^one Machine“, ein fast nicht hörbares Album, eine mörderische Häckselmaschine und Sagemühle, entrückte ihn allen Kollegen. Sogar Dylan (der vielleicht sechs, sieben solcher Platten im Kopf hatte) wirkt mit seinem Spätwerk im Vergleich wie ein lustiger Launebär. Tom Waits hatte alles kaputtgehauen. Und setzt es jetzt wieder zusammen, ohne daß ein äußerer Anlaß erkennbar wäre. Der alte Maulesel ist wieder da, mit einem grimmigen Wechsel zum Punk-Label Epitaph, was cool ist Und einer Platte, die nicht ganz an seine besten Arbeiten heranreicht, einem unprätentiösen Song-Album mit 16 Stücken, die natürlich doch so gut sind, daß jeder andere Songschreiber, der leider gerade eine LP gemacht hat, gleich einpacken kann. „Mute Variations“ hat wieder diesen rostigen, unmittelbaren und unausweichlichen Klang, diesen musikalischen Raum, der Waits‘ eigentliche Kunst ist Die Stimme, meistens verzerrt, macht bei allem Manierismus noch immer schaudern. Von den großen Waits-Musikern sind diesmal nur Marc Ribot, Ralph Carney und Larry Taylor (und bloß einmal Greg Cohen) am Baß dabei, aber das macht nicht soviel aus. Waits geht es hier um Lieder – und schon beim ersten, „Big In Japan“, ist er sinister und großartig.
Das Schlagzeug knüppelt schleppend, die Gitarren schneiden, Saxophon und Trompete schmettert kurze Fanfaren dazwischen – ein Auftakt, den sogar Tom Waits nicht überbieten kann. Bei Stücken wie „Low Side Of The Road“, „Get Behind The Mule“ und „Pony“ muß man auf die Geräuschkulisse, das gesamte Ambiente achten, um eine Idee davon zu bekommen, wie sorgfältig die „Mule Variations“ gearbeitet sind. Waits verwendet fast gar keine Effekte mehr und keine Technik – so klingt alles organisch, fließend, intim und scheinbar schlicht. Je öfter man diese Songs hört, desto mehr bewundert man die Reduktion, die Essenz. Sie bauen so was nicht mehr heute. Nur selten verläßt Waits das Elegische: Das kurze Hörspiel „What’s He Building?“ ist stupend komisch, aber doch eher eine routinierte Fingerübung. Da werkelt ein Nachbar im Keller, nur weshalb und wofür bloß? Jedenfalls baut er kein Spielhäuschen für die Kinder. In „Filipino Box Spring Hog“ macht Waits tüchtig Krawall aber es gibt ja schon „Telephone Call From Istanbul“ und „Singapore“. Ja, es sind Variationen, keine Epiphanien oder letzte Flüche eines Rappelkopfes. Waits ist zu Hause angekommen, der Garten liegt in mildem Licht, es dämmert In einem der schönsten Songs, die er je geschrieben hat, erzählt Waits zu seinem Klavierspiel (und jetzt, endlich!, zum Baß von Greg Cohen) von den einfachen und einzigen Dingen, die am Ende bleiben: „The ocean is blue/ As blue as your eyes/ Fm gonna take it with me/ When I go/ All that you’ve loved is all you own/ In a land there is a town/ And in that town there’s a house/ And in that house there’s a woman/ And in that woman there’s a heart I love/ Fm gonna take it with me/ When I go.“ Gut, daß wir verglichen haben, Tom. ARNE WILLANDER