Tortoise And Bonnie „Prince“ Billy – The Brave And The Bold
Die schönste Kooperation seit Mann und Adorno, ein Coveralbum Vielleicht haben Sie das Weihnachtsfest schon hinter sich gebracht, wenn Sie das hier lesen. Falls nicht: Frohes Fest! Ich werde mir in diesem Jahr „The Brave And The Bold“ über die Feiertage mit nach Hause nehmen (das vielgenannte, aber seltene Privileg des Kritikers), weil ich hoffe, daß die Platte mit Weihnachten das macht, was Tortoise und Bonnie „Prince“ Billy mit diesen Songs gemacht haben.
„The Brave And The Bold“ gehört in das fragwürdige Genre der Coveralben. Die Songs stammen von Milton Nascimento, Bruce Springsteen, den Minutemen, Elton John, Lungfish, dem Country-Duo Corbin/Hanner, Devo, Melanie, Richard Thompson und Quix*o*tic, einer Garagenband aus Washington, DC. Und natürlich funktioniert diese eklektische, immerhin von der schönsten Kooperation seit Thomas Mann und Theodor W. Adorno zusammengestellte Mischung ganz hervorragend. Wo bei anderen Coveralben meist versucht wird, das Sentiment des Originals mit eigenen Mitteln nachzubauen, haben Tortoise und Will „Bonnie Billy“ Oldham den Songs den Boden unter den Füßen weggezogen und aus 7Os-Rock, Prog britischer Prägung und Postrock/ Elektronik einen neuen gezimmert – und ein ganzes Haus, eine ganze Stadt noch dazu.
Springsteens „Thunder Road“ etwa ist trotz gleicher musikalischer Motive und Songlyrik kaum wiederzuerkennen, scheint nicht mehr irgendwo in der amerikanischen Provinz, sondern in einem Videoladen in New York City zu spielen, wo der verschüchterte Kunde aus der Pornoabteilung die vermutlich mexikanisch-stämmige Bedienung anschmachtet und sich überlegt, wie er sie ansprechen könnte was er natürlich niemals tun wird.
Elton Johns „Daniel“ wirkt wie ein Typ, den man in der Schule früher nie sonderlich gemocht hat, der beim Klassentreffen aber ein The Sea And Cake-T-Shirt trägt und einem dann doch irgendwie sympatisch ist. Oldhams wundervoll zärtlicher Vortrag preßt sogar aus David Hanners Klischee-Schnulze „Pancho“ noch ein paar Tränen. Das an sich unerträgliche „Love Is Love“ von Lungfish wird in dieser psychedelischen Version sogar zum Höhepunkt. Die dagegen eher behutsame, wunderschöne Bearbeitung von „Calvary Cross“ zeigt am Ende, daß Richard Thompsons Song den Interpreten um einiges näher steht als die zuvor genannten.
„The Brave And The Bold“ ist für alle Beteiligten ein Glücksfall, für Oldham, weil seine Stimme auf dieser federnden Begleitung wesentlich besser liegt als auf Matt Sweeneys Rock-Brett, für Tortoise, weil eine Rückbesinnung auf klassische Songs ihnen aus der Sackgasse hilft, in die sie sich in den letzten Jahren gespielt haben, und für uns natürlich sowieso.
Ich freue mich jedenfalls auf die Feiertage. Vielleicht wird ja aus dem Weihnachtsfest ein Wachssteinheft. Was das sein soll? Lassen Sie sich überraschen. Am 20. Januar wissen Sie es auch.