Tortoise – It’s All Around You
Vom Cover auf die Musik eines Albums zu schließen, ist nicht ganz ungefährlich: Musiker und Labels verlieben sich oft in Ideen, die sie einfach nur witzig, cool oder verkaufsfördernd finden. Nicht immer ist die Gestaltung so klar auf den Inhalt bezogen wie bei „Never Mind The Bollocks“, dem Debüt der Sex Pistols. Die hochglänzende Außenhülle von „It’s All Around You“ wirkt zunächst wie eine Reminiszenz an psychedelischen Kitsch: eine paradiesische Naturkulisse, mit den glitzernden Lichtern von LA. im Hintergrund. Regenbögen, Wasserfälle und ein dramatisch gefärbter Himmel erinnern an Zeiten, als man beim Stichwort Westcoast weniger an Gangster-Rapper dachte, sondern eher an bekiffte Hippie-Combos. Und wenn man es genau betrachtet, standen Tortoise schon immer in dieser psychedelischen Tradition: ein gelungener Mix aus The Red Crayola und Grateful Dead. War nicht all das Gerede vom Post-Rock bloß ein neuer Schlauch, in den man die alte Lust am Herumspielen füllte?
Immerhin haben Tortoise in den zehn Jahren ihrer Existenz ein atemberaubend hohes Niveau der kollektiven Improvisation erreicht. Die zehn Stücke des Albums fließen farbenprächtig schillernd dahin, wechseln immer wieder die Richtung und strahlen dabei eine ungeheuer große Ruhe und Gelassenheit aus. Wo „Standards“, das auf Warp erschienene letzte Album, mit unruhig rockenden Beats experimentierte, herrscht jetzt ein zurückgelehnter Flow. Und wo der Klassiker „Millions Now Living Will Never Die“ die Neugier und Experimentierfreude des Krautrock weiterentwickelte, setzen Tortoise nun auf die Verfeinerung des bereits Ereichten.
Das Quintett um John Mc-Entire erinnert dabei gelegentlich an ein paar abgeklärte ECM-Altmeister. Der Wohlklang steht im Mittelpunkt, Radikalität muss man woanders suchen. Was verwundert, sind die Bilder im Innencover: Eine (atomar?) zerstörte Großstadt, ein Blockhaus vor einer Raffinerieanlage. Falls Tortoise damit etwas andeuten wollen – den Weg in die Musik der Platte hat es nicht gefunden. „lt’s All Around You“ klingt wie das Paradies auf der Außenhülle: Easy Listening für anspruchsvolle Exotiker und Menschen, die die holländische Band Supersister noch kennen.
