Uncle Tupelo – No Depression :: Sony
Irgendein Kritiker beckmesserte anlässlich des letzten Albums „Anodyne“ allen Ernstes, diese Band müsse sich endlich von ihren Neil-Young-Obsessionen verabschieden, um eine ganz große zu werden. Hirnriss. Denn das hatte die mit den grimmig realistischen und fatalistischen Liedern von „March 16-20, 1992“ (5,0) bereits endgültig getan. Wenn diese Songs über den White Trash Amerikas nicht so resigniert klingen würden im Grundtenor, könnte man meinen, dass Uncle Tupelo damit den Klassenkampferklärten. Bei Springsteens „Nebraska“ öffneten sich vergleichsweise noch optimistische Perspektiven. Bei Traditionais wie „Lilli Schull“ (dem berühmten Lied über einen Mordet, der aufgehängt wird) oder Songs über in Kohlengruben schuftende Arbeiter gibt es die ununterscheidbar so wenig wie bei den Eigenkompositionen von Farrar und Tweedy. Merkwürdig genug, dass diesen unversöhnlichen und pessimistischen Liedern – so wie sie gesungen werden – noch ein Moment von Trost innewohnt ob soviel düsterer Schönheit. Und was die klagende Harmonika zu Beginn von „Wipe The Clock“, letzter Song der Original-LP, angeht, hat die nichts mit Neil Young, alles mit viel älteren Folk-Traditionen zu tun. Und die ketzerische Frage sei bei der Gelegenheit erlaubt, ob Gram Parsons je ein besseres Lied geschrieben hat als Jeff Farrar für diese Platte mit „Grindstone“. Selbst in Demo-Form (einer von sechs Bonus-Tracks der Remaster-Ausgabe) provoziert das Gänsehaut.
Weniges auf dem Debüt zwei Jahre zuvor deutete an, dass Uncle Tupelo mal so eine Platte machen würden. Der Titelsong natürlich, die Carter Family-Adaption. Anfangs auch das von „one too many faces with dollar sign smiles“ erzählende „Whiskey Bottle“, bevor dann doch wieder wie in anderen oft Tweedys ganze Punk-Aggressivität durchbricht. „Sin City“ – einer von wieder sechs Bonus-Tracks – singen sie, als wär’s ein Stück von den Louvin Brothers: nur akustische Gitarren und diese Harmonika. Beim Folge-Album „Still Feel Gone“ (4,0) übernahm Tweedy weithin die Regie, und Aufnahmen wie „Looking For A Way Out“ legten ausnahmsweise mal Vergleiche mit Crazy Horse nahe. Melodisch war vielleicht nicht durchweg alles so inspiriert wie beim Vorgänger. Aber wenn man einmal begreift, dass „Still Feel Gone“ genaugenommen die Platte von zwei völlig unterschiedlichen Bands war, lernt man sie ganz neu schätzen. Drei Demos, Farrars großes „Sauger Wind“ und Tweedys Robyn-Hitchcock-Hommage mit „I Wanna Destroy You“ ergänzen die CD. Mit dem dritten, von Peter Bück in ganzen fünf Tagen durchgezogenen Folkop. 3 waren Uncle Tupelo eine richtige Band geworden.
Die blieben sie auch bei „Anodyne“(Rhino/WSM, 4,0). Egal, wer da was schrieb: Sie klingen jedenfalls wie eine, bei den Country- und Folk- genauso wie bei den Rock V Roll-Songs und Tex-Mex-Balladen. Gelegentlich ging Tweedy wieder sein Who-Fanatismus durch (mitsamt den unmissverständlichen politischen Botschaften ist „We’ve Been Had“ sein „Won’t Get Fooled Again“), während „New Madrid“, der Titelsong als auch die Country-Balladen „High Water“ und JNo Sense In Lovin'“ durch schieren Wohlklang betören.
Wie bei so mancherlei Bonus-Tracks ist hier im Fall von „Wherever“ unverständlich, wieso man das erst mal zu Outtake-Status verdammte. Große Klasse auch die Cover-Version von „Are You Sure Hank Done It This Way“ (so wie Farrar das singt!), und die hat auch der Live-Mitschnitt von „Suzy Q“, ihrer Verbeugung vor Creedence Clearwater Revival. Jetzt mal zur Sache: Wer sich nach diesen Wiederveröffentlichungen und den prima Bonus-Tracks mit der vor kurzem von Sony Music vorgelegten „89 -93: An Anthology“ begnügt, tut sich selber einen Tort an.