Vertraute Fremde

„Vertraute Fremde“ hat dem japanischen Comic-Künstler Jiro Taniguchi auch in Europa zum Durchbruch verholfen. Und diese umfängliche, sorgfältig komponierte Graphic Novel demonstriert denn auch sein enormes Talent für Set und Szenario. Der verkaterte Architekt Niroshi Nakahara steigt in den falschen Zug und landet durch Zufall in seiner Geburtsstadt. Er besucht das Grab seiner Mutter, fällt in Ohnmacht und ist auf einmal wieder ein 14-jähriger Pennäler. Taniguchi nutzt diesen arg gesuchten Plot für ein detailreiches und plastisches Faksimile des japanischen Alltags der frühen 60er Jahre. Er skizziert typische Lokalitäten und beschreibt geduldig und teilnahmsvoll die ganz gewöhnlichen Verrichtungen des Lebens: die Einnahme von Mahlzeiten, eine Schulstunde, einen Spaziergang durch eine Geschäftsstraße. Seine ruhige, zeitdehnende Narrationsweise harmoniert ganz gut mit der eher statischen Panelaufteilung. „Vertraute Fremde“ entwickelt so durchaus einen meditativen Sog, allerdings stolpert man immer wieder über eine blutleere, beinahe bürokratische Erzählsprache und absolut papierne Dialoge. Dass dieser Comic trotzdem noch funktioniert, beweist Taniguchi bildnerische Qualitäten. (19,90 Euro)

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