Volker Weidermann :: Ostende

Ein Buch wie ein langer, kurzweiliger Artikel, der das Schwierige: das Fokussieren auf einen Sommer im Jahre 1936, so leicht aussehen lässt. Denn es beschreibt die ganze Geschichte einer wundersamen Freundschaft, eines ungleichen Paars, einer unterschwelligen Vater-Sohn-Beziehung: Auf der einen Seite der „vermögende Westjude“, der Weltschriftsteller Stefan Zweig, auf der anderen sein Sorgenkind, der „arme Ostjude“, der klarsichtige Trinker Joseph Roth. Ein letztes Mal treffen sie im belgischen Badeort aufeinander. Volker Weidermann, Feuilletonchef der ‚Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung‘, verdichtet virtuos den Stoff, in dem man sich allzu leicht verlieren kann: etwa in der nur antiquarisch erhältlichen Roth-Biografie von David Bronsen, im vorbildlich edierten Zweig-Roth-Briefwechsel (Wallstein), in den Tagebüchern Zweigs (S. Fischer) oder in den Erinnerungen Soma Morgensterns an seinen Freund Roth (KiWi) – und, ja, in all den Prosawerken dieser beiden Giganten. Doch sie sind beileibe nicht die einzigen in dieser Sommeridylle, „von einer Laune der Weltpolitik in diesem Juli hierher an den Strand geworfene Geschichtenerzähler. Erzähler gegen den Untergang.“ Unter ihnen: Hermann Kesten, Egon Erwin Kisch und die spätere Freundin Roths, die nicht minder trinkfeste Irmgard Keun, um nur einige in Weidermanns kühl und zugleich mitfühlend erzählter Collage zu nennen. Eine heitere Emigranten-Truppe, herrlich über Schriftstellerkollegen lästernd: Nur so kann sie ihre „Machtlosigkeit“ verdrängen, die sie hasst, „hasst bis zur Verzweiflung“.   (Kiepenheuer & Witsch, 17,99 Euro)

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