Weltmusik

„Ancient mother, I hear you calling“, singen die Frauen aus Robert Gass‘ Chor ON WINGS OF SONG und treffen da einen Nerv, der noch unterhalb der feministischen Schicht liegt: Das Ur-Weibliche soll erweckt werden. Dabei helfen Priesterinnen und Schamaninnen aus Indien, Hawaii, Ungarn, Irland, aus der keltischen, afrikanischen und indianischen Tradition. Vom gregorianischen Gesang der Hildegard von Bingen bis zum kraftvollen Wicca-Gospel reicht das erstaunlich breite Spektrum. Im Vergleich zu den ziemlich simplen, sentimentalen Songs der früheren Alben werden hier komplexe musikalische Arrangements und dichte Atmosphäre geboten. (Spring Hill Music 1017/Aquarius) 3,0

Eine Art männliches Gegenstück dazu bietet die Gruppe TRINOVOX mit ihrem Debüt „Incanto“. Die drei attraktiven Italiener wollen offensichtlich bzw. deutlich hörbar alle bisherigen Rekorde gesanglicher Höchstleistung brechen. „Was hier aufgenommen wurde, entspricht genau dem, was Trinovox auch live aufführen kann“, heißt es im Cover-Text, und es scheint in der Tat unglaublich, daß ein solches Spektrum an Klängen von Sopranstimme bis E-Baß und elektronischen Sounds von einem reinen A-capella-Trio erzeugt werden kann. Die enthusiastischen Konzertkritiken sind also verständlich. Allerdings kann die geballte Ladung avantgardistischer Stimmakrobatik gelegentlich etwas anstrengend sein, vor allem im zweiten Teil, wo Dantes „Inferno“ besungen wird – zugegebenermaßen kein Thema, das zu lieblichen Harmonien anregt. Keine Frage: Die Sythese von Musik und Dichtung ist auf einem hohen Niveau gelungen: König Salomon, Catull, Eliot, Lorca, Japanische Haiku, Baudelaire alle finden in Originalsprache eine ausdrucksstarke, individuell treffende Vertonung. (Jaro 4168-2/In Akustik) 4,0

Ähnlich virtuos und experimentierfreudig hört sich eine Gruppe an, die in einer völlig anderen Tradition steht. Das siebenköpfige Vokal- und Instrumental-Ensemble SHU-DE kommt aus Tuva, nördlich der Mongolei und genau im geographischen Zentrum Asiens gelegen. Die Tuvaner sind ein Nomadenvolk, das sich als direkte Nachfahren von Dschingis Khan versteht und die schamanische Tradition lebendig gehalten hat. Gleich zu Beginn des Albums „Voices Front The Dtstant Steppe fällt die mühelose Beherrschung des Obertonsingens („throatsinging“) auf. Der in Deutschland durch Michael Vetter populär gewordene Obertongesang wirkt bei der Gruppe Shu-De ganz natürlich – eben nicht wie in einer deutschen Kirche – und stellt auch nur einen Teil des vielseitigen Repertoires dar. (Real World 41/Virgin) 4,5

In der tibetischen rituellen Musik, die sich in Verbindung mit dem „Buddhismus-Trend“ zunehmender Beliebdieit erfreut, sind ebenfalls schamanische Unter-und Obertöne zu hören. Etliche Neuerscheinungen präsentieren den herben, dumpf grollenden Gesang tibetischer Lamas und das Geister vertreibende Dröhnen der Hörner. Die von der über 500 Jahre alten tantrischen Universität Gyume kommenden acht GYUME TIBETAN MONKS Sind für ihr Album „Tantric Harmonics“ sogar ins moderne Tonstudio gegangen. (Oreade/Aquarius)3,0

Wer einen weniger meditativen Einstieg in die tibetische „Szene“ bevorzugt, der ist mit dem Soundtrack zu Clemens Kubys vielgepriesenem Dokumentarfilm Ll-VING BUDDHA gut bedient, Ulrich Bassenge und Palden Tawo haben zu den beeindruckenden Landschaftsbildern die passende Musik komponiert. Melodische Anklänge an die von der chinesischen Musik mitgeprägte tibetische Kultur sind trotz der westlichen Arrangements deutlich wahrzunehmen. Die Stil-Palette reicht von Songs in tibetischer und englischer Sprache über moderne Klassik, Rock, Blues und Reggae bis zu psychedelischen Einlagen. (Virgin) 3,0

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