Willie Nelson – One Hell Of A Ride :: 4-CD-Box zum 75. Geburtstag des großen Country-Outlaws

Es muss mit seinem Selbstbewustsein als Singer/Songwriter zu tun haben, dass er — anders als so manche Kollegen – sich nie auf die gängige Hits-plus-Füllmaterial-Praxis einließ. Was wiederum angesichts seiner immensen Produktivität die Auswahl bei diesem Box Set nicht einfacher machte. Denn seine ehrgeizigen Konzept-LPs konnte man unmöglich komplett übernehmen, weil das den Rah‘ men denn doch gnadenlos gesprengt hätte, und auch bei den gelungensten Platten aus seiner langen Karriere bei so vielen Plattenfirmen musste man sich auf eine Auslese verständigen, bei der zwangsläufig die eine oder andere exzellente Aufnahme dann doch quasi unter den Schneidetisch fiel, um den ganz großen Überblick bieten zu können.

Meckern darf man also darüber, dass unter den vier von „Across The Borderline“ übernommenen Songs auch „What Was It You Wanted“ ist, aber weder die tollen Cover-Versionen von Lyle-Lovett-Vorlagen noch das mit Dylan geschriebene „Heartland“ zu finden sind, kurioserweise nicht mal der Song, der dem ganzen Album den Titel gab. Dass man das von Roy Halee wieder toll produzierte „Graceland“ unbedingt präsentieren wollte, ist verständlich. Aber auf „She’s Not For You“, einen seiner wunderschönsten „Heuler“, in der Neuaufnahme der späten Jahre zu verzichten, kann man kaum mit irgendwelchen argumentativen Klimmzügen begründen. Das ist der größere Song als der hier auftauchende „Still Is Still Moving To Me“, sprich den Rang von Willie als Singer/Songwriter der nachdrücklicher unterstreichende. Vor allem aber in dieser späten Aufnahme beeindruckender als das 1965 aufgenommene Original, dem man für dieses Box-Set den Vorzug gab.

Die Jahre nach dem Comeback und dem Knatsch mit der Steuerfahndung sind fast zwangsläufig etwas pauschal dokumentiert. Das von Daniel Lanois produzierte „Teatro“ ist mit zwei Songs, das Tribute-Album „You Don’t Know Me — The Songs Of Cindy Walser“ mit nur einem einzigen vertreten wie das mindestens so ehrgeizige „Night And Day“ auch. Das Box-Set endet zwar mit dem offenbar eigens dafür aufgenommenen „When I’ve Sung My Last Hillbilly Song“. Aber das ist ja eigentlich gar keiner, mehr eine dieser traurigen Balladen, die Guy Clark und Kris Kristofferson seit einiger Zeit öfter singen.

Wie Letzterer tauchen hier viele andere Duett-Partner seiner Karriere auf, etwa Leon Russell bei der Aufnahme des Standard „One For My Baby (And One More For The Road)“, Merle Haggard im Duett bei „Pancho & Lefty“ von der gleichnamigen LP, häufiger natürlich Waylon Jennings, gelegentlich Faron Young, Ray Price und Webb Pierce, dazwischen auch der unvermeidliche Julio Iglesias mit „To All The Girls I’ve Loved Before“, weil man das als großen Hit schlecht unterschlagen konnte. „Nite Life“, „Hello Walls“, „Funny How Time Slips Away“ fehlen selbstverständlich nicht. Aber man kann nicht behaupten, dass hier generell die Hitparaden-Positionen bei der Auswahl die Richtschnur vorgaben. Den Liberty- und vor allem den RCA-Jahren wurde auf den ersten beiden CDs reichlich Platz eingeräumt, während die Atlantic-Ära (zumindest gemessen am Rang der für die Firma produzierten Platten) doch ein wenig unterrepräsentiert erscheint.

Von den vielen Häutungen und Schaffensphasen vermitteln die Fotos hier fast einen fesselnderen Eindruck als die für so ein anspruchsvolles Set relativ knappen Liner Notes. Als richtig repräsentatives Geschenk eignet sich das letztlich vielleicht doch weniger: Aus dem ultrakurzen Tribute-Album „To Lejty From Willie“findet man hier generös drei Aufnahmen. Von dem viele Millionen mal verkauften „Always On My Mind“, das ihm den ganzen Ärger mit dem Finanzamt beschert haben dürfte, aber nur eine einzige: den Titelsong. Das ist Mut zur Lücke.

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