Yin Yang von Christian Salvesen
Etliche Heroen der Pop- und Rock-Geschichte haben wie RICK WAKEMAN ihren aufreibenden Job gegen ein entspannendes Studio eingetauscht, in welchem sie entspannende Musik komponieren – auf dem Lande, versteht sich. Das sollte Marktforscher aufhorchen lassen. Von den 60 Millionen Platten, die Wakeman verkauft hat, ist nur der kleinere Teil „Symphonie Rock“ à la Yes. Ein beachtlicher Prozentsatz baut auf eingängig-schlichte Keyboardstücke. Nach der in Esokreisen bereits als Klassiker verbuchten „Sun-Trilogie“ (drei CDs) ist nach Jahren wieder so ein hübsches Album erschienen, diesmal mit farbenfrohen Pagageien und dem abenteuerlichen Titel „Visions Of Paradise“ (Sattva). 2,5
Beispiel 2: Einst rockte er bei Nina Hagen, dann bei Spliff, neuerdings reist er musikalisch: BERNHARD POTSCHKA läßt in „The Journey“ (Prudence/Bell) seine eigene Entwicklung von Klassik bis Ethno (speziell Flamenco) Revue passieren, klar vom selbsteingerichteten Studio aus. Entspannend. 2,5
Eine musikalische Welt ohne Regeln wäre unerträglich, wie auch PAUL HASLINGER (ebenfalls aus der Tangerine Dream-Werkstatt) weiß. Deshalb mischen sich auf „World Witkout Rules“ (RGB/Ninety-Nine) die indischen Melodien und Tabla-Rhythmen wohldurchdacht mit Ambient-Space und Trancebeat, expressives Stimmengewirr spricht vernünftig mit verzerrter Rockgitarre usw. Der große Sprung ins Unbekannte steht unmittelbar bevor. Sicherheitsgurte sind nötig. 3,5
„High Wirt“ (Traumton/Indigo) von KOOKOON -Musik, die einen nicht vom Drahtseil hauen soll. Denn dort wandelt jener Mann, dessen Ballettschuh wir auf dem ästhetischen Cover von unten bewundern. Hochseil-Akrobat Matthias Traber hält mit uns die Balance zum intelligent komponierten, meditativen „Ambient-Trance“. 3,0
Vom Konzept her weniger fokussiert und stärker auf das übergreifende Ganze ausgerichtet sind RAINBOW SERPENT (alias Frank Specht und Gerd Wienekamp aus Oldenburg) mit „Voyager“ (Ardema-Musik/Aquarius). Auf den Spuren von Klaus Schultze erschufen die beiden Elektronikfreaks eine kosmisch-komische Sinfonie zur Evolution des Lebens und überhaupt.. 3,0
OUGENWEIDE – der Name der ersten deutschen Mittelalter-Folk-Rock-Band spielte seinerzeit auf Ohrenschmaus, Walther von der Vbgelweide und sehenswerte Kostümauftritte an. Nach dem Split 1985 machten von Henko, Casalich und die Gebrüder Wulff ihr eigenes Projekt beim Theater weiter, etwa in „Black Rider“ (Musik: Tom Waits) und „Time Rocker“ (Musik: Lou Reed), komponierten für „Werner Beinhart“ sowie „Asphaltflimmern“. Nun sind sie wieder alle beisammen und haben mit dem Schlagzeuger Stefan Rager, dem Tessera Streichquartett und der Vokalgruppe Time Of Roses „Sol“ (EMI) aufgenommen, eine multimediale CD, in der die Musiker sich selbst und ihre ausgefallenen Instrumente (Drehleier, Gibson Gitarre von 1911) auf Quick Time Clips vorstellen. Exquisit sind auch die historischen Quellen der Songs: Liederhandschriften in Mittelhochdeutsch, Lateinisch, Altspanisch, „O Death“ von Anne Boleyn vor ihrer Hinrichtung 1538 oder eine wüste Weissagung aus der Edda in Altnordisch. Gekonnte Studioarbeit mit feinfühliger Sampletechnik, brillanter Gesang (a capella Renaissance), anspruchsvoll und zugleich gut zugänglich. 4,0
Im letzten Moment erreicht mich MIRA mit „Hope For The Dead“ (JVC/RTD), eine von Martin Gordon und Peter Culshaw angezettelte Gemeinschaftsproduktion von 24 Topmusikerinnen rund um den Globus. Fühl mich wie neugeboren. 4,0
Ein Hit muß noch aus der Warteschlange geholt werden: nämlich die „I-Ging-Symphony“ (Erdenklang/Aquarius) von FRANK STEINER JR., das Buch der Wandlungen (Dylans Weisheitsquelle) – genial vertont. 4,0