Rewind Today 1977: Das Debütalbum von Elvis Costello erscheint

Der ROLLING STONE platzierte "My Aim Is True" in der Liste der 500 besten Alben aller Zeiten auf Platz 168 - dabei war Costellos Debüt mit dürftigem Equipment in nur wenigen Nacht-Sessions aufgenommen worden. Wir gedenken dem Werk in einer Übersicht von Costellos wichtigsten Alben.

Elvis Costello schuf 1976/77 eines der hochgelobtesten Debüt-Alben aller Zeiten und gleich ein Dutzend Song-Klassiker für sein umfangreiches Quevre. Heute vor 36 Jahren wurde „My Aim Is True“ auf dem britischen Label Stiff Records veröffentlicht. Wir gedenken dem Werk mit einer Archiv-Übersicht wichtiger Costello-Alben bis zum Jahr 2007. Und freuen uns natürlich darauf, wenn in diesem Jahr noch ein neues dazukommt.

Aus Heft 10/2004, zusammengestellt von Arne Willander und Maik Brüggemeyer.

„My Aim Is True“, 1977

Welcome to the working week! Das Album eines frustrierten bebrillten Computer Operators, der mit seiner kleinen Familie in den suburbs von London lebte. In frühen Klassikern wie „(The Angels Wanna Wear My) Red Shoes“, „Less Than Zero“, „Blame It On Cain“ und natürlich „Alison“ werden Vorstadt-Paranoia, Eifersuchtsdramen, Schuldgefühle, sexuelles und emotionales Versagen ausgestellt. Greil Marcus stellte in einer Rezension „My Aim Is True“ über Randy Newmans zeitgleich erscheinendes „Little Criminals“. Noch nicht mit den Attractions, sondern mit den Pubrockern Clover aufgenommen, ist das Debüt eigentlich ein Übergangswerk: Bei Veröffentlichung im Sommer 1977 waren die Songs fürs nächste Album schon geschrieben und die Attractions in den Startlöchern.(4,5)

„This Years Model“, 1978

„This Years Model“ handelt von Hass, Faschismus und Sex. Doch das Entscheidende ist die attitude. War auf „My Aim Is True“ noch das Hadern mit der Niederlage, das unbeholfene Blind-gegen-die-Wand-rennen, stand hier die trotzige Totalverweigerung. Auf „This Years Model“ gibt es keine Liebe, kein Mitgefühl, der Andere existiert nur in der Verneinung. Die Songs hießen „Hand In Hand“ oder „You Belong To Me“, doch der Schein trügte. Dazu die Attractions mit der brutalsten Rhythmusgruppe, die jemals ein Tonstudio betreten hat. Sie liefert das Fundament für Steve Nieves hämische Keyboards und Elvis‘ ätzende Gitarrenattacken. (5)

„Armed Forces“, 1979

Von Elvis auch „das Abba-Album“ genannt, die Songs überwiegend unter Einfluss von „Dancing Queen“ während einer USA-Tournee geschrieben. Mit „Oliver’s Army“, „Accidents Will Happen“ und Nick Lowes „(What’s So Funny ‚Bout) Peace Love And Understanding“ enthält die Platte richtige Hits, aber auch die anderen Stücke sind so eingängig wie bitterböse: „Green Shirt“, „Goon Squad“, „Busy Bodies und „Two Little Hitlers“. Es reichte fast zum Popstar. (5)

„Get Happy!!“, 1980

Unmittelbar inspiriert von Curtis Mayfield, Smokey Robinson, den Four Tops und Booker T. & The MGs, mittelbar von seiner Produktion des Specials-Debüts und den Vorkommnissen der „Armed Funk“-US-Tour mit den Attractions 1979 – der Affäre mit Bebe Buell und dem peinlichen Zwischenfall in Columbus, Ohio. Das LP-Cover protzt mit „20 Great Hits“ (beim CD-Reissue gar mit 50), und das war nicht gelogen. Die Attractions spielten variabel und druckvoll, vor allem Nieves Orgel hielt die Songs zusammen. Die Melodien waren nie besser, diepunchlines nie treffsicherer. „New Amsterdam“ ist in der Liste der schönsten Costello-Songs weit oben. (5)

„Trust“, 1981

Nach dem furiosen „Get Happy!!“ hielten sich die Attractions auf „Trust“ bei einigen Songs erstmals etwas im Hintergrund und zeigten, dass sie auch die subtileren Arrangements beherrschten. Steve Nieve wechselte bei vielen Stücken von der Orgel ans Klavier, das den Sound von „Trust“ (das zunächst „Looking Italian“ heißen sollte) prägte. „Strict Time“ und „Lover’s Walk“ sind zwei der besten Band-Performances überhaupt, dagegen wirken die nach den „alten“ Attractions klingenden Stücke wie „Luxembourg“ doch etwas hohl. (4,5)

„Almost Blue“, 1981

Eine Forschungsreise nach Nashville, wo Elvis und die Attractions auch den leibhaftigen George Jones trafen, der „Stranger In The House“ mit dem seltsamen Engländer sang. Auch Johnny Cash trat ans Mikrofon – doch beide Duette erschienen gar nicht auf dem Album, das gut abgehangene Country-Klassiker in nicht sehr veränderter Form präsentiert, bloß schlechter gesungen als die Originale. (3)

„Imperial Bedroom“, 1982

„Masterpiece?“ fragte die Anzeige, die „Imperial Bedroom“ bewarb, keck. Natürlich. Ambitionierter und inspirierter hatten Costello und die Attractions nie musiziert (und würden es auch nicht mehr tun). Steve Nieve schrieb Arrangements und dirigierte (mit großem Kater) zum ersten Mal ein Orchester. Nachdem der alte Held Nick Lowe als Produzent verabschiedet wurde, kündigten sich mit dem neuen Mann, dem Beatles-Toningenieur Geoff Emerick, bereits die neuen Helden an: natürlich die Beatles, aber auch die großen Meister des amerikanischen Songs – George Gershwin, Irving Berlin und Cole Porter. Emerick, der im Studio nebenan gleichzeitig mit Paul McCartney an „Tug Of War“ arbeitete, war bei den Aufnahmen vor allem Erfüllungsgehilfe für Costellos abenteuerliche Ideen. (5)

„Punch The Clock“, 1983

Das Pop-Album, produziert von Clive Langer und Alan Winstanley. Es schmettern die TKO Horns, die Damen von Afrodiziak singen im Background, und Elvis legt ein Mordstempo vor: „Let Them All Talk“, „Charm School“, „The Invisible Man“,“TKO(Boxing Day)“ – aber auch die exzellenten Balladen „Shipbuilding“ und „Pills And Soap“. Der Überschwang und die intellektuelle Erotik dieser melodieseligen Platte blieben einzigartig. (5)

„Goodbye Cruel World“, 1984

Mal wieder im Liebeskummer, schrieb Elvis diese fulminanten Songs, in denen Liebe, Hass und Schuld traktiert werden, allerdings in den tröstlich flauschigen Arrangements von Clive Langer und Alan Winstanley. „The Only Flame In Town“, „Inch By Inch“, „Worthless Thing“ und „Love Field“ sind letzte Evokationen verzehrender Liebe, so wimmernd wie bei „I Wanna Be Loved“ hatte man Elvis noch nie gehört. Und die zynische Ballade „Peace In Our Time“ klang schon damals wie ein Klassiker. (4,5)

„King Of America“, 1986

Elvis‘ Meisterstück: Mit den Session-Königen James Burton und Jerry Scheff, Ron Tutt und Jim Keltner sowie einem jungen Mann namens Mitchell Froom an den Keyboards nahm er in den USA diese Hommage an die amerikanische Musik der Fünfziger und Sechziger auf. Eine unglaubliche Leistung, wie Elvis die Virtuosen durch Wunderlieder wie „Our Little Angel“, „I’ll Wear It Proudly“ und „Sleep Of The Just“ dirigiert. (5)

„Blood & Chocolate“, 1986

Noch im selben Jahr erschien die zweite Überraschung, das zweite magische Album: Diesmal mit den Attractions in aufgekratztester Verfassung, bellt und quengelt Costello durch rohe Wutlieder, winselt „I Want You“ und kräht „Tokyo Storm Warning“, leiert „Uncomplicated“ und höhnt „I Hope You’re Happy Now“. Seit dem jungen Dylan waren solche Ausbrüche nicht zu hören. Besser ging (und wurde) es nicht mehr. (5)

„Spike“, 1988

Nach dem vorläufigen Ende der Attractions mit dem stoischen „Blood And Chocolate“ hatte Costello Ideen für diverse Alben und Projekte. Leider versuchte er, sie alle auf einmal zu machen. So finden sich auf „Spike“ die Spuren der Zusammenarbeit mit Paul McCartney, der Begeisterung für Tom Waits (dessen Musiker hier teilweise mitspielen), der Freundschaft zu (dem Produzenten) T-Bone Burnett, der Kooperation mit der Dirty Dozen Brass Band, seine Beziehung zur Ex-Pogues-Bassistin Cait O’Riordan und sogar seiner neuen Heimat Dublin. Als Album funktioniert das nicht, die Songs sind (fast) alle exzellent. Höhepunkte: das komische „God’s Comic“ und „Deep Dark Truthful Mirror“. (4)

„Mighty Like A Rose“, 1991

„Mighty Like A Rose“ ist trotz ähnlicher Besetzung weniger eklektisch als der Vorgänger. Die besten Songs – die überirdische Ballade „Couldn’t Call It Unexpected No. 4“, das beatleske „So Like Candy“ (eine McCartney-Co-Komposition) und der Beach Boys-Sound von „The Other Side Of Summer“ – sind besser als fast alles auf „Spike“, die schlechten („Playboy To A Man“, „Invasion Hit Parade“) allerdings unterirdisch. Mitchell Frooms schwammige Produktion richtet zusätzlichen Schaden an. Die überladenen Streicherarrangements ärgerten Costellos so, dass er bald darauf lernte, selbst die Noten zu schreiben. (3,5)

„The Juliet Letters“, 1993

Nachdem er mit dem Kunstlied geliebäugelt hatte, engagierte Costello nun das Brodsky Quartet für seinen Zyklus fiktiver Liebesbriefe an Shakespeares Julia. Manche Anhänger dachten Judas!“, doch die 20 melodramatischen, anrührenden Stücke sind natürlich echte Costellos, nur mit Streichern und getragenem Gesang. Im Konzert eine Sternstunde. (4)

„Brutal Youth“, 1994

Noch einmal die Attractions, noch einmal London, noch einmal die Heiserkeit, der Krawall, die überdrehte Melodie. Der Sound dieser Band war nun schon nostalgisch zu hören, und in „Sulky Girl“, einem bittersüßen Song der Sehnsucht, blutete wieder das Herz. Die meisten Stücke brachten den Rock’n‘ Roll zurück – und: „All That Rage“. In sentimentalem Überschwang besang Elvis „Londons Brilliant Parade“, barmte „This Is Hell“ und pöbelte „20% Amnesia“. 1994 wirkte Costello dennoch wie ein Zeitreisender. (4)

„Kojak Variety“, 1995

Auf Barbados, wo Costello mit einigen seiner Lieblingsmusiker an Aufnahmen arbeitete, entdeckte er den Laden „Kojak Variety“. Die gleichnamige Platte mit wenig inspirierten Versionen unbekannter Song bekannterer Songschreiber wurde leider zu einer Ramschbude. Glücklich war niemand, und Elvis verzichtete auf eine Fortsetzung. Mittlerweile wurde die Platte um viele Songs in derselben Machart ergänzt. (2,5)

„All This Useless Beauty“, 1996

Eigentlich sollte dies ein Doppelalbum mit Songs werden, die Costello ursprünglich für andere Künstler schrieb. Am Ende wurde es ein unausgegorenes Balladenalbum mit seltsamen Computersounds, auf dem man die neuformierten Attractions nur beim kakophonen Ende von „Distorted Angel“ hören kann. „I Want To Vanish“, „The Other End Of The Telescope“ und „Poor Fractured Atlas“ sind bezaubernd, „Starting To Come To Me“ immerhin beschwingt, der Rest aber eher Mittelmaß. Der beste Song aus den Sessions, „Almost Ideal Eyes“, schaffte es aus unerfindlichen Gründen nicht auf das Album. (3)

„Painted From Memory“, 1998

Die Kollaboration mit dem von Elvis bewunderten Songschreiber Burt Bacharach, der einst musikalischer Leiter von Marlene Dietrichs Revue war und in den Sechzigern Filmmusiken und Hits aus dem Ärmel schüttelte. Costello schrieb die Texte und sang mit erstaunlicher Kraft, die Musik fügte sich aufs Glücklichste zu den melancholischen und brutalen, schwarzen und theatralischen Stücken. Ein Zyklus über Verlassen und Verlust, Mesalliancen und Scheidung, Eifersucht und Don Juanismus. Altmodisch, hochdramatisch, unvergesslich. Wer den damals schon 70-jährigen Bacharach und Costello, die seltsamen Partner, je auf der Bühne sah, hat für den Rest seines Lebens etwas zu berichten. (5)

„North“, 2002

Man hatte es kaum noch für möglich gehalten, aber mit „North“ gelang Costello tatsächlich mal wieder ein (Solo-) Album aus einem Guss. Die Stärke lag dieses Mal in der Beschränkung: sparsame, äußerst subtile Streicherarrangements und spärliche Pianoakkorde begleiten diese intimsten Kompositionen über Trennungsschmerz und neue Liebe und erzeugen eine Stimmung, die an große Sinatra-Alben wie „In The Wee Small Hours“ und „Sings For Only The Lonely“ denken lässt. (4,5)

„When I Was Cruel“ 2007

Laut Eigenaussage ist „When I Was Cruel“ ein „rowdy rhythm album“. Ganz sicher ist es das erste Rock’n’Roll-Album seit „Brutal Youth“ und der erste Auftritt der Imposters. über weite Strecken sehr erfrischend, krankt das Album jedoch an der Maßlosigkeit vieler Platten des Costelloschen Spätwerkes, alle Talente auf einmal ausstellen zu wollen. Doch zumindest der Titelsong, „Tart“ und „Episode Of Blonde“ gehören eigentlich auf jedes gute „Best Of“-Album. (4)

 

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