ROLLING STONE vor Ort: Die Spannung steigt – Kuba wartet auf die Rolling Stones

Am Karfreitag kommen die Stones nach Havanna. Eine Stadt bereitet sich vor. Jens Fuge ist vor Ort und spricht mit den Menschen, von denen sich die meisten freuen – und andere die Band erst noch kennen lernen müssen.

Alle kommen nach Kuba – der Papst, Obama, die Touristen sowieso. 25 Prozent mehr Kuba-Gäste vermeldete die staatliche Tourismusbehörde, 3,5 Millionen Besucher bedeuteten zuletzt einen Allzeit-Rekord. Doch bei den Kubanern kommt bisher wenig an von diesem Boom. Nur wenige glauben an wirkliche Veränderungen nach der zaghaften Annäherung zwischen den USA und ihrer revolutionären Regierung. Ein Ereignis jedoch bringt diese Überzeugung ins Schwanken: Der Besuch der Rolling Stones.

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„Das bedeutet mehr als jeder Besuch eines Regierungschefs oder kirchlichen Würdenträgers“, schreibt die kubanische Dissidentin und Bloggerin Yoani Sánchez auf ihrem Blog „Generation Y“ über den bevorstehenden Auftritt Mick Jaggers und Kollegen. „Dieses Land wird nicht zu einer neuen Nation werden, weil John Kerry es besucht hat, oder aufgrund des dritten Papstbesuches in weniger als zwanzig Jahren. Aber ja, Kuba wird sich verändern, wenn Persönlichkeiten wie dieser britische Rockstar, eine Ikone der guten Musik und der vollkommenen Respektlosigkeit, in Havanna landet“.

„Rolling Stones? Kenne ich nicht!“

Dabei war die Abschottung vor amerikanischer oder britischer Rockmusik lange Jahre so perfekt, dass viele Kubaner der jüngeren Generation die Stones gar nicht mehr kennen. Toti aus Santiago de Cuba, 25 Jahre, kann mit dem Namen der berühmtesten Band der Welt nichts anfangen: „Was für Zeug? Rolling Stones kenne ich nicht, Rock, was ist das? Ich mag Reggaeton und Romantisches“. So wie ihm dürfte es vielen jungen Inselbewohnern gehen, die eher kubanische Musik hören.

Aber auch die Älteren hatten fast nie die Möglichkeit, eine Leidenschaft für die Stones zu entwickeln – der Staat war einfach dagegen. Wie auch in der DDR wurden öffentliche Aufführungen nicht geduldet, im Radio und TV kamen die Rockstars aus Großbritannien nicht vor. Die Stones eroberten die Musikwelt – mit Ausnahme von Kuba.

Die sollen jetzt wirklich nach Kuba kommen?

Dennoch gibt es viele Kubaner, für die ein lange gehegter Traum Wahrheit wird und die es fast nicht glauben können. Wladimir, 48, ebenfalls aus Santiago: „Klar kenne ich die Rolling Stones, tolle Musik! Und die sollen jetzt wirklich nach Kuba kommen?“

Ja, sie kommen tatsächlich. Nachdem das kubanische Staatsfernsehen bereits im letzten September berichtete und Mick Jagger im Oktober in Havanna gesichtet wurde, verdichteten sich die Anzeichen immer mehr. Inoffiziell wurde vom kubanischen Kulturministerium sogar schon eine Umfrage unter kubanischen Bandleadern gestartet, welche Band am besten geeignet sei, im Vorprogramm der Stones aufzutreten. Auf der offiziellen Stones-Website wurde das Konzert kurzzeitig angekündigt, wenig später war es wieder verschwunden.

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Lange Zeit hing das Konzert in der Schwebe. Insider berichteten von „organisatorischen Schwierigkeiten“. Wer Kuba kennt, weiß um den Wahrheitsgehalt dieser Aussage. Ein Konzert dieser Größenordnung gab es bislang nie im Inselstaat, auf der Maidemonstrationen und Gedenkveranstaltungen für die Revolution die einzigen Massenevents darstellen.

Erst Obama, dann die Stones – alle Hotels sind ausgebucht

Doch inzwischen wird eifrig gebaut – der 15 Meter hohe Bühnenaufbau reckt sich bereits in Sichtweite zum „Coliseo de la Ciudad Deportivo“, der Rundkuppel des 15 000 Menschen fassenden Sportpalastes, in dem vor allem die Volleyballer Kubas antreten. Die „Sportstadt“ und ihre ausgedehnten Baseball- und Fußballfelder liegen direkt an der wichtigen Zubringerstraße „Avenida de la Independencia“, die zum internationalen Flughafen führt.

Ganz Kuba spricht inzwischen von dem Ereignis. Seit der Termin feststeht, sind Busfahrten aus dem Oriente, dem östlichen Teil Kubas, ausgebucht. Hotelzimmer gibt es längst nicht mehr, zumal zwei Tage zuvor US-Präsident Obama die kubanische Hauptstadt besucht. Unter der Hand macht die Geschichte die Runde, dass in jenen Tagen 5000 Hotelgäste ihre Zimmer in Varadero bekommen werden, obwohl sie eigentlich für Havanna gebucht haben. Privatzimmer gibt es noch hier und da, doch eines steht fest: Havanna wird in diesen Tagen aus allen Nähten platzen.

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Besucher können sich getrost auf Straßensperrungen und Massenkontrollen einrichten, endlose Schlangen werden die Folge sein – in Kuba geschieht nichts schnell oder effizient. Conner Gorry, amerikanische Journalistin mit Arbeitsvisum in Kuba, warnt schon mal alle Besucher: “ I predict a shit show to enter and exit the Stones concert“. Man solle Zeit mitbringen, viel Zeit. Andererseits dürfe man sich glücklich schätzen, an einem historischen Ereignis teilnehmen zu können. Denn einen möglichen Auftritt der Stones in Kuba, so Gorry, hätten die Kubaner unter dem Motto „Das passiert erst, wenn die Blockade fällt“, verbucht. Die Blockade besteht noch zu 100 Prozent, die Rolling Stones aber kommen. Wahrhaft neue Zeiten in Kuba.

Denn für viele Generationen von Kubanern stellte die Band das Verbotene dar, eine Lebenshaltung, die ihnen durch die kubanische Politik verwehrt wurde. Yoani Sánchez sagt: „Für ein politisches System, dass den ’neuen Menschen‘ mit einem einfachen, linientreuen und untergebenen Geist schaffen wollte, waren die Rolling Stones mit ihrem impulsiven Lebensstil alles andere als ein Vorbild, jemand, dem die kubanischen Menschen keineswegs nacheifern sollten.“ Doch dieser Mensch aus dem Laboratorium, den die Erziehungsleitfäden anpriesen, hätte nicht geschaffen werden können. „Und Mick Jagger gewann den Kampf gegen diesen Prototypen eines militanten jungen Mannes mit ordentlichem Haarschnitt, der selbst seine eigene Familie verraten würde“.

Wie populär die Band trotz des jahrzehntelangen Bannes dennoch auf der Insel ist, zeigt auch eine Umfrage, welche Conner Gorry durchführt. In ihrer unabhängigen Bibliothek und dem beliebten Treffpunkt „Cubalibro“ im Stadtteil Vedado stellt sie allen Besuchern die eher theoretische Frage, ob sie lieber Barack Obama oder Keith Richards zu einem Talk in ihren Laden einladen solle.

Es führt, wenn auch knapp, der Stones-Gitarrist.

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