ROLLING STONE wird 20. Unsere Helden, Teil 1: Neil Young

Wir werden 20! Und starten mit einer Serie ins Jubiläumsjahr – über 20 Helden, die uns in den vergangenen 20 Jahren wichtig waren. Den Auftakt macht Neil Young. Ein Porträt von Arne Willander

Seit 1994 gab es zwei  Neil Youngs für mich. Der eine stand in meinem Plattenregal, ein verwittertes Monument in verschlissenen Jeans, „After The Gold Rush“, „Zuma“, „Comes A Time“, „Live Rust“, „Freedom“, Sie sagen es.  Ende der 80er-Jahre hatte sich der Wind gedreht, Young war wieder cool, man konnte auf ihn setzen, und gerade hatte er „Sleeps With Angels“ veröffentlicht, das Beste nach Manna vom Himmel, Kurt Cobain war tot, und  der Alte hatte schon einen Song dazu. Seine Sentenz „It’s better to burn out than to fade away“ war Cobains Abschiedsgruß an die Welt.

Der andere Neil Young hatte eine Plattenfirma, Warner, mit einer deutschen Dependance in Hamburg. Einmal schickte die Presseabteilung Heinz Rudolf Kunze, der bei derselben Firma unter Vertrag stand, zum Interview – er führte es gleichsam stellvertretend für alle Journalisten, die keines führen durften. Zu „Mirror Ball“, dem Album mit Pearl Jam, konnten wir ein Gespräch zwischen Young und Eddie Vedder drucken. Dann kam eine Live-Platte zu Jim Jarmuschs Dokumentarfilm „Year Of The Horse“, man konnte also mit Jim Jarmusch sprechen. Bei „Silver And Gold“ spendierte die amerikanische Redaktion ein Interview.

Dann, im Jahr 2002, brachte Neil Young „Are You Passionate?“ heraus, es war auch ein Kommentar zu 9/11: Der Song „Let’s Roll“ zitierte den Kampfruf, der angeblich von den Passagieren des Flugzeugs stammte, die ein entführtes Flugzeug an jenem Schicksalstag zum Absturz brachten, indem sie die Terroristen überwältigten. Diese Zivilcourage fand Young gut, sie passt zu seinem Freiheitsbegriff. Young fand früher auch Atomkraft gut und Ronald Reagan, womöglich hegt er sogar Sympathie für den deutschen General Erwin Rommel, dessen Ring in einem seiner Songs vorkommt. Wie auch ein Cheeseburger und der ROLLING STONE: ,,Bring me a cheeseburger and a new ROLLING STONE.“ Jedenfalls reiste Wolfgang Doebeling nach Amerika und diskutierte mit dem Künstler über Vinyl, und anschließend war Young wütend, schimpfte mit seinem Manager Elliott Landy und sagte die Interviews mit zwei Franzosen ab.  

Seitdem veröffentlicht Neil Young unaufhörlich neue Platten: Es gab die „Performance Series“ mit Mitschnitten von historischen Konzerten, es gab die „Archives“, es gab frische Alben. Es gab sogar Alben, die nie veröffentlicht worden waren („Chrome Dreams“) und dennoch eine Fortsetzung nach sich zogen („Chrome Dreams II“), und Alben, die Young in den 80er-Jahren nicht veröffentlicht hatte, obwohl er beinahe alles herausbrachte, weshalb er von David Geffen wegen der Produktion unkommerzieller Musik verklagt wurde. In der Hamburger Filiale von Warner verwaltete Frau Antje (Name von der Redaktion geändert) diesen Auftrieb: Ungefähr sechs Wochen vor einem Album kam eine Nachricht, drei Wochen davor ein Rezensionsexemplar aus Burbank mit Kopierschutz und FBI-Warnung. Frau Antje war sonst für Linkin Park und die Beatsteaks verantwortlich, und das war vermutlich einfacher, als in Deutschland die  medialen Angelegenheiten von Neil Young zu vertreten.

Denn „Onkel Neil“, wie wir ihn in unserer reichen Korrespondenz nannten, wollte manchmal zwei oder drei deutschen Journalisten ein Interview gewähren, manchmal schnurrte das Angebot auf zwei oder drei internationale Journalisten zusammen, manchmal auf einen und dann auf keinen oder einen Franzosen. Onkel Neil wollte mal in Vancouver empfangen, in New York, mal vielleicht auch in Los Angeles, in San Francisco, in der Nähe seiner Ranch, in London, Paris oder Amsterdam, aber eigentlich doch lieber nicht. Der Batteriemotor in seinem alten Auto implodierte, seine Modell­eisenbahn brannte ab, er wurde sehr krank und wieder gesund, er sprach mit Jonathan Demme, er drehte einen Film und noch einen, er ging auf Tournee, kündigte zwei Platten zugleich an und veröffentlichte sie innerhalb eines Jahres.

Jedesmal waren Frau Antje und ich sicher: Er wird sprechen. Er muss sprechen. Er entkommt uns nicht. Wir wollten mal Maik und mal Joachim, mal Birgit und mal Torsten schicken, alle freuten sich auf den Magier, die Legende, das Urgestein, packten ihre Koffer, hörten die alten Platten, notierten sich Fragen. Flüge und Hotels wurden gebucht, Notpläne geschmiedet. Immer kam die Absage von Frau Antje. Es war ein running gag, aber es war auch bitterer Ernst, es gab Neil Young ja wirklich, es gab die Orte, die Flugzeuge und die Alben, Neil Young kam nach Deutschland, wir sahen ihn leibhaftig auf der Bühne, und der Musiker Wolfgang Michels durfte mit seiner Band im Vorprogramm von Youngs Konzert spielen und berichtete, dass sie einen Soundcheck machen durften und etwas zu essen bekamen.  Ich weinte vor Rührung. Wir waren ganz nah dran.

Niemand ist uns so vertraut wie  Onkel Neil.

Cover 5

Rezensionen 27

Sterne 99

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