ROLLING STONE wird 20. Unsere Helden, Teil 10: Sven Regener

Wir werden 20! Und starten mit einer Serie ins Jubiläumsjahr – über 20 Helden, die uns in den vergangenen 20 Jahren wichtig waren. Teil zehn: Sven Regener. Ein Porträt von Birgit Fuß

Mal angenommen, Element Of Crime hätten nie eine Platte gemacht. Ja, sicher, das ist eine furchtbare Vorstellung, weil man nicht ohne „Weißes Papier“, ohne „Romantik“ oder „Die schönen Rosen“ sein will! Aber selbst ohne diese einzigartige Musik, zu der kein Label passt, die Rock, Rummelplatz und Chanson vereint und dabei so anders ist als alles andere, wäre eines immer noch gewiss: Ein Interview mit Sven Regener ist stets ein Erlebnis. 2001 ergab sich für mich erstmals die Gelegenheit, zwischen zwei Lesungen von „Herr Lehmann“. Der Sänger war nun auch Bestsellerautor – die Elements waren ihm dennoch das Wichtigste. Er nannte sie „eine sehr populäre Band, die trotzdem kaum ein Schwein kennt“. In seiner trockenen, uneitlen Art unterschied er sich sehr von den meisten anderen deutschen Musikern, die lieber nicht so gern übers schnöde Geschäft sprachen. Er hat auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie sich ohne Erfolg längst aufgelöst hätten – wer will schon ewig im Kleinbus herumfahren? Bestimmt nicht „diese Gruppe fröhlich überalternder Schwermut-rocker“, so Regeners selbstironische Bezeichnung.

Im Gespräch mag er bodenständig, oft raubauzig sein – die Lieder von Element Of Crime erzählen ganz andere Geschichten. Sven Regener schreibt die schönsten Songs vom Warten und vom Vergehen der Zeit, von der Liebe, der See und der Stadt. In der Redaktion waren wir selten so einig, wie wir es bei Element Of Crime waren. Als die deutsche Ausgabe des ROLLING STONE 1994 gegründet wurde, war das Meisterwerk „Weißes Papier“ schon veröffentlicht, aber alle Alben, die seitdem erschienen sind, haben nie weniger als vier Sterne bekommen (die Coverversionen „Fremde Federn“ großzügig ausgenommen).

Sven Regeners Ton konstituiert die Welt seiner Songs wie Aki Kaurismäki den Kosmos seiner Filme. Mit seiner Kneipenprosa in „Herr Lehmann“ gab Regener – der aus Bremen stammt – dem Berlin der Jahre vor dem Mauerfall eine Sprache und das Personal; die Schweinebratenköchin und Kristall-Rainer wurden quasimythische Figuren. Und in Talkshows fläzte er sich als raunzender Kauz und funkelnder Schnurrenerzähler.

Im Jahr 2009 reisten wir bis nach Nashville, um die „relativen Perfektionisten“ im Blackbird-Studio zu besuchen, wo sie „Immer da wo du bist bin ich nie“ abmischten. Natürlich wollten sie sich weder mit Cowboyhüten noch am berühmten Broadway fotografieren lassen – solche Sperenzchen mögen sie nicht. Die Magie dieser Band liegt ganz in ihren Liedern: Wenn Sven Regener von brüchigen Hinterhof-Idyllen, Schneemännern vom vorigen Jahr und fallenden Blättern singt und in die Tröte bläst, dann illuminiert die Romantisierung die Realität. Alles in diesen Liedern ist Schwelgen. Umso lakonischer und griesgrämiger tritt der Autor auf. Aber man täusche sich nicht: Hinter der Fassade des bierseligen Grantlers und knarzigenPossenreißers verbirgt sich ein unerbittlicher Wahrheitsfanatiker.

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Rezensionen 6

Sterne 24

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