Romantik!

Der Pop besinnt sich auf elementare Werte.

Der Satz „Irony is over, bye bye“, wird hierzulande gerne Pop-Autor Christian Kracht zugeschrieben, aber natürlich war es Jarvis Cocker, der damit 1998 die Spaßgesellschaft verabschiedete, am Ende des Pulp-Albums „This Is Hardcore“. Drei Jahre später waren dann auch Afterwork-Partys und Dotcom-Start-ups nicht mehr lustig, ein Revival des Fundamentalismus und der Bartmode begann.

Nichts lag in diesen grauen Tagen näher, als sich auf das Wesentliche zu besinnen. Auf „We Love Life“ ersetzen Pulp deshalb die Künstlichkeit des Vorgängeralbums durch ein hintersinniges Bekenntnis zur Natur. Da werden die Vögel im Garten zum Komplizen eines noch schlaftrunkenen Liebhabers und zwitschern ermutigend: „Take her now. Don’t be scared, it’s alright.“ Selbst das wild wuchernde Unkraut taugt hier zur gesellschaftlichen und persönlichen Metapher: „We are weeds, Vegetation, etc. & if you think it’s a crime – we’d like to get you out of your mind.“

Drei Jahre hatten Pulp an „We Love Life“ gearbeitet, was unter anderem auch daran lag, dass die Zusammenarbeit mit Chris Thomas, der „Different Class“ und „This Is Hardcore“ produziert hatte, nicht mehr funktionierte. Ausgerechnet der ebenso enigmatische wie idiosynkratische Scott Walker kurz zuvor war er mit einem zehnminütigen Song für Ute Lemper wieder aus dem Land hinter dem Spiegel aufgetaucht – wurde als Nachfolger verpflichtet. Man hört allerdings selten, welcher Tausendsassa da mit Pulp im Studio war. Bei „Bad Cover Version‘ hat Walker immerhin die Streicher arrangiert und wohl auch sonst das ein oder andere angeschoben.

Auch in Deutschland wurde viel nachgedacht in diesem Jahr. Blumfeld erinnerten sich an Ton Steine Scherben und veröffentlichten mit „Testament der Angst“ eins ihrer tiefgründigsten, kritischsten und wohl auch besten Alben, das mit Hüschs „Abendlied“ ein berückendes Bekenntnis zur Romantik enthielt, und mit „Anders als Glücklich“, „Graue Wolken“ und „Die Diktatur der Angepassten“ einige der besten Lieder dieser Karriere. Sven Regener und Element Of Crime widmeten dem Thema sogar ein ganzes Album: „Romantik“ gilt vielen als das beste Werk der Berliner. In einer Zeit der schnellen Trends und Oberflächenreize war die Haltung der Band fast schon ein Akt der Rebellion. Lieder wie „Fallende Blätter“ waren hinreißend in der Beschreibung melancholisch schöner Bilder, steckten aber auch voller Empathie und dem Wissen um die Vergänglichkeit. Zeitgleich mit „Romantik“ erschien auch Regeners Bestseller „Herr Lehmann“, dessen Charme und Witz selbst Marcel Reich-Ranicki zu preisen wusste.

Was war noch wichtig im Jahr 2001? Das Debüt der Strokes natürlich, von Travis kam „The Invisible Band“, Dylan schenkte uns „Love And Theft“ und Ryan Adams feierte mit „Gold“ seinen großen Durchbruch. Und Nick Cave schaffte es tatsächlich von Suff und Heroin loszukommen. Wie gut ihm das getan hat, bewies das wunderschöne Album „No More Shall We Part“ mit dem tollen „Fifteen Feet Of Pure White Snow“ und der christlichen Erbaungslyrik von „God Is In The House“: „Moral sneaks in the White House/ Computer geeks in the school house/ Drug freaks in the crack house/ We don’t have that stuffhere“ – erratisch war auch der nüchterne Cave.

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