Schampus im Bauchnabel

Die aufregenden Scissor SistersS beschwören das New York der frühen 80er

Nicht viele Clubs hatten die Ehre, von Frank Zappa besungen zu werden: „It’s the best kinda place / To unfasten yerself, heißt es in dem 1981 erschienenen Song „Mudd Club“. Keith Haring war hier Türsteher, Andy Warhol Stammgast und Jean Michel Basquiat bemalte die Wände, ohne dass ihn jemand darum gebeten hätte. Steve Mass, der Besitzer der ehemaligen New-Wave-und Kunst-Institution, lebt inzwischen in Berlin. Und weil ihm offenbar nichts Besseres einfiel, eröffnete er auch hier wieder einen „Mudd Club“.

Auf dessen niedriger Bühne stehen heute die Scissor Sisters, eine junge New Yorker Band, die sich aufführt, als sei dies ein Heimspiel und wir hätten immer noch das Jahr 1980: Fordernd stampft der Disco-Beat, eine obszön verzerrte Gitarre kracht rhythmisch dazwischen und der Keyboarder, der nebenbei auch Bass spielt, imitiert die Spacesounds von Steve Millers „Fly Like An Eagle“. Das Beste sind die beiden Sänger: eine aufgedonnerte Kunstszenen-Diva namens Ana Matronic und ein drahtiger kleiner Kerl, der sich Jake Shears nennt. Jake ist so präsent und exhibitionistisch wie eine Mischung aus Iggy Pop und Robbie Williams. Mit einer kraftvollen Falsett-Stimme besingt der begnadete 24-jährige Poser die Freuden des käuflichen Sex.

Am nächsten Morgen ist das euphorische Glänzen in Jakes Augen einem verkaterten Blinzeln gewichen. Mitsängerin Ana dagegen schwärmt noch immer: „Es war fantastisch, nach Berlin zu kommen und dort in dem Club zu spielen, dessen Vorläufer uns überhaupt erst nach New York gelockt hat.“

Das Besondere an den schrillen Schwestern: Obwohl ihre Wurzeln im Electroclash liegen, funkelt ihr Debüt wie ein klassisches Hollywood-Musical. Songs wie „Laura“, „Take Your Mama Out“ oder „Return To Oz“ klingen, als hätten sie lOcc, Elton John, Kid Creole und Giorgio Moroder nach ein paar Gläsern Schampus geschrieben. „Comfortably Numb“, die vor einem guten Jahr erschienene erste Single, mag eine Pink Floyd-Coverversion sein, doch sie hört sich an wie ein von Frankie Goes To Hollywood und den Bee Gees getriebenes Bekenntnis zu einem sexuell aufgeheizten Hedonismus: „Okay, es gibt auf unserer Platte ein paar direkte schwule Referenzen“, sagt Jake und guckt dabei wie ein großäugiger Pin-up-Boy. „Aber eigentlich möchten wir, dass jeder Zugang zu unserer Musik hat. Und wenn es ein zentrales Thema gibt, dann ist das New York. Das New York in unserer Vorstellung und nicht das New York, in dem wir leben.“ Diese Vision eines freizügigen urbanen Lebens hat Jake und seinen Partner Baby Daddy von Lexington/Kentucky nach Brooklyn getrieben: „In meinem Apartment haben wir 95 Prozent des Albums aufgenommen, das hat der Musik die Intimität verliehen“, erzählt Baby Daddy.

Die Scissor Sisters sind die erste wirklich aufregende Band 2004. Und der Mudd Club war, zumindest einen Abend lang, wieder der zuckende Nabel der Welt.

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