Schlaue Moralistin: Annie Clark alias St. Vincent

Niemand kann sich der wunderbaren US-Songwriterin St. Vincent entziehen. Nicht einmal die großen Helden der Popkultur wie Terrence Malik und David Byrne. Am 09. September veröffentlichte sie ihr neues Album "Strange Mercy".

Für ihr letztes Album „Actor“ von 2009 ließ Annie Clark alias St. Vincent sich thematisch wie musikalisch von einigen ihrer Lieblingsfilme inspirieren. Dafür schrieb sie komplexe Streicher- und Bläserarrangements, die in die goldene Ära der Filmscores verwiesen. Der erste Song auf ihrem neuen Werk „Strange Mercy“ heißt nun „Chloe In The Afternoon“ – nach dem englischen Titel von Eric Rohmers „Die Liebe am Nachmittag“. 

„Die Eric-Rohmer-Inspiration hat mir auf ‚Actor‘ gefehlt“, sagt die 28-jährige Songwriterin und lacht. „Als sie sich dann doch noch einstellte, wollte ich ihr nicht im Weg stehen.“ Der Film von 1972 passt auch ganz gut ins Konzept, schließlich handelt es sich um den letzten Teil von Rohmers Reihe „Moralische Erzählungen“, und auch der Albumtitel „Strange Mercy“ – eine seltsame Form von Mitleid also – scheint auf eine eigentümliche Art von Moral anzuspielen. „Das ist ein Phänomen aus dem Tierreich“, erklärt Clark. „Es gibt Säugetiere, Katzen zum Beispiel, die ein Junges auffressen, wenn sie feststellen, dass es nicht durchkommen wird. Das habe ich quasi auf Menschen angewendet. Es geht natürlich nicht ums Morden – aber manchmal ist das Gnädigste, was man tun kann, nicht gleichzeitig das Netteste.“

Irgendwie muss man da gleich wieder an einen Film denken. Erzählte Terrence Malick doch jüngst in „The Tree Of Life“ eine Jugend- und Schöpfungsgeschichte anhand der Kategorien Natur und Gnade. Annie Clark strahlt schon, als sie den Namen des Regisseurs hört. „Ich hatte bei ‚The Tree Of Life‘ schon nach 20 Minuten Tränen in den Augen. Auf ‚Actor‘ gibt es ein Lied, dass von Malicks ‚Badlands‘ inspiriert ist. Und – ich erzähle das eigentlich nie, weil es so großkotzig klingt, aber es passt gerade so gut – einen Tag, bevor ich in Austin spielte, rief mich sein Assistent an und fragte, ob ich Lust hätte, Malick in einem Café zu treffen. Natürlich wollte ich. Wir haben dann zwei Stunden einfach über das Leben gesprochen. Man kann in seinen Augen sehen, dass er solch wunderbare Filme machen kann – Großmut, Mitgefühl und eine unglaubliche Intelligenz bli­tzen da auf.“

Malick ist nicht der einzige ihrer Helden, mit dem Clark in Kontakt steht. Mit David Byrne schreibt sie gerade ein ganzes Album. „Oh, mein Gott, er ist anbetungswürdig“, schwärmt sie. „Wenn ich groß bin, möchte ich David Byrne sein. (lacht) Wir schreiben gerade an Stücken, die um ein Bläserensemble arrangiert werden, und schicken ständig Dateien hin und her. Wir wohnen zwar beide in New York, aber so ist es bequemer.“

Für „Strange Mercy“ ist Clark von New York zurück in ihre Heimatstadt Dallas gegangen. Hauptsächlich aus praktischen Gründen. Produzent John Congleton habe dort ein Studio und die meisten der Musiker, mit denen sie arbeiten wollte, lebten in Texas:­ Jazz-/Gospel-Keyboarder Bobby Sparks, Becks musikalischer Direktor Brian LeBarton, Midlake-Schlagzeuger McKenzie Smith und Daniel Hart von The Physics of Meaning, der die Geige spielt. „‚Actor‘ war sehr zerebral, was unter anderem daran lag, dass ich alles am Computer geschrieben habe“, so Clark. „Deshalb wollte ich für ‚ Strange Mercy‚ eine Band, und ich wollte Songs, die etwas Lebendiges haben, die einem in die Eingeweide gehen.“

St. Vincent – „Cruel“

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