Simply Red: Mick Hucknall im Interview – „Wir stehen für kulturelle Aneignung? Lächerlich!“

Der Sänger über das neue Album von Simply Red, Blue Eyed Soul und ein Konzert der Sex Pistols

Ich will, dass die Leute wieder zu meinen Songs tanzen, ich will, dass die Leute wieder wissen, was sie an Simply Red mögen“, so kündigte Mick Hucknall sein neues Album, „Blue Eyed Soul“, an. Der 59-Jährige möchte an die 80er- und 90er-Jahre anknüpfen, als er der erfolgreichste Soul-Sänger Europas war, dank Liedern wie „Holding Back The Years“ und „Stars“. Hucknall steht für britischen Blue Eyed Soul: Soul, gesungen von weißen Musikern. Ein Gespräch über kulturelle Aneignung, Nat King Cole und sein eigenes Grab.

Sie gelten als prägender „Blue Eyed Soul“-Interpret. Der Albumtitel ist so offensichtlich, als tauften AC/DC ihr nächstes Werk „Hard-Rock“, oder?
Der ursprüngliche Titel war „Soul Funk Deluxe“. Aber ich fragte mich: Als was kennen die Leute mich eigentlich? Was bin ich? „Blue Eyed Soul“ ist eine Ansage ohne Doppeldeutigkeit. Den Genre-Titel hatte ich ja nicht erfunden.

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Grenzt Sie der Begriff nicht ein?
Journalisten etikettieren mich sowieso. Aus Unsicherheit, denn sie drängen darauf zu erfahren, woran sie sind, vor allem für sich selbst. Die Ambiguität begleitet mich seit jeher: Soul – darf der das? Dabei ist der „Blue Eyed Soul“-Gedanke, weiße und schwarze Musik vereinen sich, tief verwurzelt. Meine Einflüsse reichen bis zu den „blue eyes“ von Bing Crosby oder Frank Sinatra zurück. Crosby arbeitete in den 1920er-Jahren mit Louis Armstrong zusammen, Sinatra mit Count Basie. Elvis hatte zwar braune, nicht blaue Augen, aber der „Sun“-Labelchef Sam Phillips sagte damals: „Hätte ich einen weißen Jungen, der wie ein Neger singen kann, könnte ich Milliardär werden.“ Der schwarze Jimi Hendrix wiederum coverte Dylan. Und was ist mit den Juden! Der Einfluss, den George Gershwin auf afro-amerikanische Musik ausübte! Diese gegenseitigen Befruchtungen betrachte ich als größtes kulturelles Erbe des 20. Jahrhunderts.

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Unterscheiden Sie zwischen amerikanischen und britischen Musikern?
Es waren die Briten, die weißen Amerikanern deren eigene schwarze Musik bekannt machten. Wir haben eine Tradition darin, eine fremde Kultur zu adaptieren und etwas Originelles daraus zu kreieren. Jagger sang Muddy Waters, Robert Plant Lieder von Sonny Boy Williamson II. Die Rolling Stones spielten R’n’B, aber keiner spielte R’n’B wie sie.

Haben Sie sich jemals gewünscht, man wüsste gar nicht, wie Sie aussehen?
1984 warben wir für Simply Red mit Zetteln, die aus Faxmaschinen ausgespuckt wurden. Keine Fotos. Amerikanische Plattenfirmen dachten, da sänge ein schwarzes englisches Mädchen. Als ich in den USA ankam und deren Leute mich sahen, waren sie enttäuscht. Zwei wichtige Promoter sagten, in Europa undenkbar: Zu weiß fürs schwarze, zu schwarz fürs weiße Radio. Ständig werben sie für den „Amerikanischen Traum“, das ist heuchlerisch.

„Der große amerikanische Traum? Ich kann es nicht mehr hören!“

Warum?
Was passiert mit Menschen, die sich diesen „Traum“ erfüllen? Michael Jackson: starb an einer Überdosis verschreibungspflichtiger Medikamente. Elvis Presley: starb an einer Überdosis verschreibungspflichtiger Medikamente. Prince: starb an einer Überdosis verschreibungspflichtiger Medikamente. Traurig. Und doch sind sie die Ikonen des „großen amerikanischen Traums“. Ich will das nicht mehr hören.

Ihre Band ist multi-ethnisch.
Darunter ein Japaner, zwei Afro-Amerikaner. Und doch hat mich ein Journalist des „Guardian“, wohlgemerkt eine linksliberale Zeitung, angegriffen: Simply Red seien „weiße Typen, die versuchen schwarze Lieder zu singen.“ Bitte? Wir befinden uns im Jahr 2019.

Kritisiert wird also eine angebliche „kulturelle Aneignung“?
Das dümmste, lächerlichste Konzept. Es widerspricht der Entwicklung der Musik des 20. Jahrhunderts, der Fusion schwarzer mit weißen Stilen. Hätte Gershwin verboten werden sollen, „Summertime“ zu schreiben? Dann hätte Eddie van Halen niemals das Gitarrensolo auf Michael Jacksons „Beat it“ spielen dürfen.

Warum gibt es keine jüngeren bedeutenden Soulsänger?
Im Vereinten Königreich wird mehr Rock als Soul gehört. Und ein großer Sänger, der in die Richtung „Blue Eyed Pop“ statt „Blue Eyed Soul“ ging, ist verstorben: George Michael. Der erste Brite mit Soul war für mich Steve Marriott, Sänger der Small Faces. Der heutige Radio-Soul klingt fabriziert, als hätte ein fünfköpfiges Gremium einen Konsens finden müssen und dann dieselben Songs an verschiedene Künstler verschickt. Arbeit wie aus dem Politbüro.

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Welcher Epoche fühlen Sie sich verbunden?
Robert Plant und Jimmy Page ließen sich vom Blues inspirieren, so wie die Stones oder die Beatles. Ich entstamme der Generation danach. Meine Fixpunkte sind die mittlere Ära Barry Whites, Marvin Gayes, die Mittsiebziger, der Philadelphia Sound. Inspirationen sind wichtig, nur kopieren möchte ich nicht, so wie Led Zeppelin es mit „Bring It On Home“ von Sonny Boy Williamson II taten, dessen Song in ihren eigenen einbauten.

1976 gehörten Sie zu den 50 Zuschauern des Sex-Pistols-Konzert in Manchester, die Geburtsstunde der Punk-Bewegung. Morrissey war da, Mark E Smith, die Buzzcocks …
Heute sagen 10.000 Leute, sie seien dabei gewesen. Als ich die Band sah, wusste ich: Auch ich kann es schaffen. Bis die Sex Pistols kamen, wirkten Rock-Bands für einen Jungen aus dem Osten Manchesters wie Repräsentanten der Monarchie. Unerreichbar. Stadion-Künstler. Aber die hier beherrschten ihre Instrumente nicht gut, sahen nicht aus wie Stars. Ich ersparte mir Geld für meine erste Gitarre.

Auf Facebook fordert ein Fan: Sie sollen zum Ritter geschlagen werden, für Ihre Verdienste an der Musik.
Die Monarchie vergibt Ehrungen im Namen des Volkes, das unterscheidet sie von unseren Politikern, die oft nicht mal im Sinne des Volkes handeln. Die Monarchie steht immerhin für ein Ideal, an das die Menschen glauben können, nicht für die leeren Versprechungen von Politikern wie Boris Johnson. „Politics“? Ich halte es mit der jamaikanischen Art im Reggae: Er ist ein „Politrictian“, ein windiger Politiker. Es muss eine Reform der Europäischen Union geben, doch ich glaube, England kehrt, nach all den sinnlosen Verhandlungen, mit eingezogenem Schwanz wieder in die EU zurück.

In „Complete Love“ geht es um die Zeit nach Ihrem Tod. Dem Wunsch, dass Sonnenlicht auf Ihr Grab falle.
Für den Songtext wurde ich von Nat King Coles „Nature Boy“ inspiriert: „The greatest thing you’ll ever learn, is just to love, and be loved, in return.“ Ich hatte nie eine Mutter …

… Sie wurden im Alter von drei Jahren verlassen, Ihr Vater zog Sie alleine groß …
… er gab mir das Gefühl von Liebe. Aber das Gefühl von Frauen geliebt zu werden, das geben mir nun meine Frau und meine Tochter. Manchmal scherze ich: Sogar mein geliebter Hund ist weiblich. Drei Girls also zuhause bei mir, ich liebe sie, sie lieben mich. „Complete Love“. Endlich, mit 59 Jahren.

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