„Simply Red“-Star Mick Hucknall im Interview: „Soul gehört nicht mehr zum Mainstream“

Der Simply-Red-Sänger über Frank Sinatra und Nat King Cole, die Soul- und R&B-Tradition in England und seine neue Orchesterplatte

Mick Hucknall ist der bekannteste Blue-Eyed-, also „weiße“ Soul-Sänger Großbritanniens. Mit Simply Red feierte er ab 1985 Welterfolge, nahm Songs wie „Stars“, „Holding Back The Years“ oder „Fairground“ immer wieder neu auf. Jetzt veröffentlicht der 58-Jährige einen Zusammenschnitt dreier Auftritte, die er für „Symphonica In Rosso“ einspielte, eine Amsterdamer Konzertreihe, bei der sich zuvor Sting, Diana Ross und Lionel Richie von Guido’s Orchestra begleiten ließen. Neben eigenen Stücken interpretierte Hucknall auch Klassiker von Frank Sinatra. Ein Gespräch über Idole, Vorurteile und die Herausforderung, mit klassischen Musikern mitzuhalten.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Sinatras „My Way“ singen?
Zum ersten Mal habe ich ihn 1999 gewürdigt, bei einem Auftritt in London mit dem British Symphony Orchestra bei der „Millennium Night“. 500 Millionen sahen vorm Fernseher zu – ich sang „My Way“ als „Lied des Jahrhunderts“. Es gibt keinen Swing-und-Jazz-Musiker, der besser mit einem Orchester harmonierte als er.

Es ist eines der meistgecoverten Stücke. Was können sie dem hinzufügen?
Jeder hat es schon gesungen, ich wollte nun auch dazugehören! „Symphonica In Rosso“ war ein Angebot, das ich nicht ausschlagen konnte. Ich durfte Lieblingslieder singen, darunter auch Sinatras erster Hit, „All Or Nothing At All“. Ich versuche mich als Crooner.

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Ist Sinatra Ihr größtes Vorbild?
Er ist ganz oben, he is the main guy. Nach ihm Nat „King“ Cole. Sinatra und sein Arrangeur Gordon Jenkins waren kongenial. Sinatra und Cole sind Könige unter den Sängern, die sich von Orchestern begleiten ließen.

Welche Herausforderungen gab es mit dem Orchester?
Bei Auftritten mit Simply Red folge ich dem Rhythmus von Schlagzeug und Bass. Ein Orchester aber hat den Dirigenten, hier Marco Borsato, der den Ton angibt, dem ist unser Beat egal. Er swingt, benutzt seine Arme. Bei diesen Proben merkte ich, wie schwer die Synchronisation zwischen uns und dem Orchester ist.

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Interessieren Sie sich für neue Musik?
Ich kenne mich nicht aus und führe ein zurückgezogenes Leben mit Frau und Tochter. Mein Vaterdasein hält mich auf Trab. Aber es reicht, um festzustellen, dass die britische Kultur nicht allzu viele R&B- oder Soul-Stars hervorgebracht hat. Wer bei uns heute Sänger wird, versucht es weiterhin mit dem Stil der Beatles oder der Rolling Stones – der guten alten Rockwelt.

Gibt es keine würdigen Soul-Sänger mehr? Adele?
Adele ist für mich eher Jazz als Soul. Sie erinnert an Ella Fitzgerald. Adele ist sehr gut, aber sie ist keine Aretha Franklin oder Tina Turner. Gott schütze Tina Turner! Sie war ja schwer krank. Und sie ist eine der wirklich meistunterschätzten Sängerinnen. Vielleicht weil sie vor allem vom Pop-Publikum geliebt wird.

Hat klassischer Soul ein Problem?
Soul gehört in Großbritannien nicht zum Mainstream. Wer in die Fußstapfen sogenannter schwarzer Stile tritt, versucht sich in der Regel an Rap oder Grime. Mich macht das traurig.

Warum?
Viele Künstler meiner Generation sind verstorben, und wir haben keine Nachfolger. George Michael hat uns so jung verlassen – auch er war ein Interpret, der hervorragend mit einem Orchester auftrat. Prince natürlich. Manchmal halte ich ­inne: Moment, wo sind die alle hin? War­um habt ihr mich verlassen? Mir gab das Antrieb – und Bob Geldof half dabei.

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Inwiefern?
Er sagte: „Du hast wahrhaftig Soul!“ Mein nächstes Album erscheint Ende 2019, eine Back-to-Basics-Platte, purer Funk und Rhythm & Blues. Ich will, dass die Leute wieder zu meiner Musik tanzen, ich will, dass die Leute wieder wissen, was sie an Simply Red mochten. Meine Stimme ist nicht nur genauso gut wie vor 35 Jahren – ich versuche sogar, sie in neue Reichweiten zu treiben. Und meine Band soll klingen wie eine Truppe aus den 70er-Jahren.

Sinatras „My Way“ ist die Hymne derer, die keine Kompromisse eingehen. Sie selbst kämpften in den 80er-Jahren gegen Vorurteile.
Ohne Soul, ohne R&B gäbe es keine Beatles und keine Stones, beides weiße Bands. Keinen Elvis Presley, keine Led Zeppelin. Das vergessen alle, die sich über Blue-Eyed Soul mokieren. Britische Musik schöpft aus unserer fantastischen Tradition, etwas Fremdes zu nehmen und ­etwas Originäres daraus zu machen. Amerika hingegen ist noch immer durch Rassen­trennung gekennzeichnet.

Wie haben Sie das erlebt?
Anfangs bekam ich in den USA zu hören: „Du bist zu weiß fürs schwarze Radio und zu schwarz fürs weiße.“ Briten sind besser darin, Menschen verschiedener Herkunft zumindest in der Kultur zusammenzuführen. Wir denken nicht in „schwarzer“ oder „weißer“ Musik. In Manchester wuchs ich inmitten von Jamaikanern, Paki­stanern und Indern auf. Hautfarbe ist für mich keine Kategorie. Wer Aretha Frank­lin als „schwarze Sängerin“ bezeichnet, macht sich unfreiwillig zu einem Rassisten. Es ist tragisch, wie die rechten Parteien in Europa an Zustimmung gewinnen und den Kontinent spalten. Das bekomme auch ich zu spüren.

Wie?
Der Brexit war eine fürchterliche Idee! Wie werden wir in Zukunft meine Crew, all die Techniker durch die vielen europäischen Länder bringen, wenn wir bei jedem Grenzübergang Probleme bekommen, weil wir nicht mehr in der EU sind? Ein Albtraum!

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