So war der Eurovision Song Contest in Baku: Das Land des Lächelns

Der Eurovision Song Contest in Baku geriet zur reinsten Tourismus-Werbung für Aserbaidschan. Roman Lob erreichte den achtbaren Max-Mutzke-Platz. Der Nachbericht von Arne Willander.

Beinahe hätte Engelbert Humperdinck die Höchststrafe bekommen: Mit zwölf Punkten belegte der 76-jährige Knödelsänger für England den vorletzten Platz in der Konkurrenz, nur unterboten von dem norwegischen Beitrag „Stay“, gesungen von Tooji, einem 24-jährigen iranischen Immigranten und „Fernsehmoderator und Sozialpädogen“, den die Norweger „persischen Prinz“ nennen. Tooji kam mit Kapuze auf die Bühne und warf die Kappe nach der ersten Strophe ab – eine Variation der alten Nummer mit dem Über-Rock. Engelbert wiederum hatte sich so gefreut, erstmals am Eurovision Song Content teilzunehmen: Die Komponisten (schon für Adele und James Blunt gearbeitet!) schrieben für den Routinier das allzu ereignislose Lied „Love Will Set You Free“, auf dass sein Gesang strahlen konnte. Tat er dann auch.

Doch ohne Rabatz funktioniert nur selten etwas bei diesem Spektakel. Sogar Griechenland und Zypern setzten auf den paneuropäischen Ballermann-Sound, und auch die hoch gehandelten russischen Babushkis boten ihr bizarres „Party For Everyone“ zum ubiquitären Techno-Bumms dar: Mit gutmütigen Grinsegesichtern und zwei Armbewegungen stolperten die Großmütterchen in Puschen auf der Bühne herum, so gut es die Arthrose eben zuließ, und buken nebenher ein Blech Kekse – für dieses geriatrische Kuriosum gab es Rang zwei. Es gewann die von Beginn an favorisierte schwedische Waldhexe Loreen mit dem verhangenen Gothic-Brecher „Euphoria“: Zwei Jahre nach Lena ist das modische Dunkelgeraune der internationalen Popmusik konsensfähig geworden. Es hätte schlimmer kommen können: Sabina Babayeva hätte mit dem für aserbaidschanische Verhältnisse fast minimalistischen Ballade „When The Music Dies“ (natürlich von Schweden geschrieben) beinahe triumphiert – so hätte sich die protzige Crystal Hall von Baku im nächsten Jahr ammortisiert.

Aber die Veranstaltung hat sich für die aserbaidschanische Potentatenfamilie Oliyev ohnehin gelohnt: Vier Stunden lang betrieb das Fernsehen eine touristische Dauerwerbesendung für das Land, statt der Künstler wurden aserbaidschanische Bräuche und Tänze, Speisen und Berge, Prunkbauten und Sehenswürdigkeiten kitschig in Szene gesetzt. Nicht zu sehen waren die Häuser, die für den Bau der Crystal Hall abgerissen wurden, nicht zu sehen waren die Menschen, die ihre Grundstücke verlassen müssen, weil noch eine Einkaufsstraße gebaut wird, nicht gezeigt wurden die Übergriffe auf Demonstranten und Oppositionelle, nicht gezeigt wurde das Geld, das die Präsidentengattin über eine Baugesellschaft an dem Song Contest verdient hat. Dafür sah man nach dem Vortrag der 26 Kandidaten in einem quälend langen Interludium eine Leistungsschau des heimischen Musikschaffens, auf deren Höhepunkt der Schwiegersohn des Präsidenten vom Dach der Crystal Hall abgeseilt wurde und in einer Art Militärtracht für müßige Millionäre ein schwülstiges Lied intonierte, das im Wettbewerb durchaus eine Siegchance gehabt hätte. Ein kapitaler Planungsfehler!

Der gute alte Peter Urban versuchte mit einigen ironischen Anmerkungen, das Pfingsten des Präsidenten zu konterkarieren. Doch die Jubelperser in der Kristallhalle feierten die nationale Erweckung im Angesicht der Welt frenetisch, und bei der Punktevergabe der einzelnen Jurys fehlte es nicht an obligatorischem Lob für die Organisatoren, wenn auch eiskalt geheuchelt vorgebracht. Einer der aserbaidschanischen Präsentatoren spricht sogar Deutsch und bedankte sich bei den Ausrichtern der letzten Festspiele: Er hat in Deutschland studiert.

Der Schlumpf Roman Lob kam mit „Standing Still“ (von Schweden geschrieben) auf Rang acht glimpflich davon. Lange herumdümpelnd, erhielt er am Ende noch die notwendigen Stimmen für den achtbaren Max-Mutzke-Platz.

Im Rahmenprogramm an der Hamburger Reeperbahn brauchte es den Veteranen Udo Lindenberg, um ein paar missvergnügte Worte des Protestes gegen den diktatorischen Operettenstaat Aserbaidschan zu nuscheln, während Judith Rakers kreischig moderierte und Anke Engelke muttchenhaft die Jury-Vorsitzende gab. Mit Unheilig, Jan Delay, Peter Maffay und MIA. war das Programm so gut besetzt, dass man die Volksbelustigung in Baku souverän hätte boykottieren können. Beim Jury-Entscheid für Germany immerhin zeigte Anke Engelke wahren Frauenmut vorm Autokraten-Thron, indem sie auf Englisch verkündete: „Heute Abend konnte niemand für sein eigenes Land abstimmen. Aber es ist gut, wählen zu können. Und es ist gut, eine Wahl zu haben. Viel Glück auf Deiner Reise, Aserbaidschan! Europa beobachtet Dich! Und hier sind die Ergebnisse der deutschen Jury…“

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