Sounds wie Wüstenboden: Free-Rock nach Holzfäller-Art von Silkworm

Bei „Uncle George´s“ gibt es kein Frühstück, auch nicht um halb neun morgens. Silkworm sind für zwei Konzerte nach New York gekommen, und sie suchen dieses 24-Stunden-Restaurant in der griechischen Neighbourhood von Queens stets auf, wenn sie sich in der Stadt befinden. Als Stammgäste bleiben sie natürlich ganz cool, bestellen Chicken und Berge von Kartoffeln. Da paßt es ins Bild, daß zwei der drei Musiker aus Montana kommen und tatsächlich so kräftig wie Holzfäller sind. Dabei hassen sie allerdings Flanellhemden, schon weil sie seit geraumer Zeit in Seattle leben.

„Andy und ich sind 1990 mit unserem damaligen zweiten Gitarristen von Montana dorthin gezogen. Das war kurz vor dem Run auf die Stadt“, berichtet Tim Midget, dessen Baß derart robust und schön aussieht, als habe er ihn eigenhändig aus einem Baumstamm geschnitzt. „Hätten wir gewußt, was aus Seattle wird, war es wohl nicht dazu gekommen.“ Doch der Umzug brachte Vorteile. Man traf auf Schlagzeuger Michael Dahlquist, und je mehr sich Grungeoder-wie-das-hieß zum genormten Gebrauchs-Rock entwickelte, desto stärker formten Silkworm ihren eigenen Stil aus. Wenn auch ohne Publikum. „Daß uns in Montana keiner mochte, war klar, aber selbst in Seattle interessierten sich die Leute nicht für uns“, sagt Andy Cohen.

Die Band hielt durch. Dem zweiten Gitarristen wurde gekündigt, ein vielversprechender Vertrag wurde mit dem Super-Indie „Matador“ abgeschlossen. Die Mitglieder stehen jetzt an der Schwelle zum dritten Lebensjahrzehnt und ihre Musik auf dem neuen Album, „Firewater“, in voller Blüte. Obwohl das Wort Blüte vielleicht auf die falsche Fährte führt, denn der Silkworm-Sound erinnert in den ergreifendsten Momenten an einen Wüstenboden: Er ist trocken und von riesigen Rissen durchzogen. Vielleicht singen Silkworm deshalb vom Trinken in allen Lebenslagen. „Alkohol ist schon eine seltsame Angelegenheit: Einerseits ist er gesellschaftlich akzeptiert, doch andererseits vernichtet er Leben.“ So Tim.

„Goddam the cirumstance that brought me here/ And goddam you, my friends“ lautet der beste Rock-Refrain des Jahres, zu hören in dem Song „Nerves“. Aber vielleicht waren die Umstände gar nicht so sehr verdammenswert, weil die Freunde mit den dreckigen Fingernägeln aus Seattle die Band dazu zwangen, ihr Profil zu stärken. Während Grunge fetter und feister wurde, nahmen Silkworm immer mehr weg – wer ihre mäßigen frühen Alben durchhört, erkennt eine immer stärkere Tendenz zur Reduktion. Dinosaur Jr. wie auch Crazy Horse schimmern noch als ihre Einflüsse durch, doch die Spielweise wird freier. „Zuerst klingen unsere Songs ganz konventionell“, erklärt Andy Cohen. „Doch dann dehnen wir sie immer mehr, verzichten auf bestimmte Einsätze.“ „Slow Hands“ heißt programmatisch ein monströser Song auf „Firewater“. Der Lead-Part wird von Tim übernommen, der den Baß unendlich stretcht. Die Riffs verflüssigen sich gleichsam. Ist das noch Rock – oder ist das schon Jazz? Nennen wir es der Einfachheit halber Free-Rock.

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