Sprachlose Dolmetscher

Sie mögen unkomplizierter sein als Thom Yorke - die kreativen Prozesse von Radiohead bleiben aber auch Jonny und Colin Greenwood ein Rätsel

Es wirkt wie ein Friedensschluss: Nach Verweigerung und widerspenstigen Nicht-Gesprächen mit viel zu vielen Journalisten, die ohne Gnade den Tribut des öffentlichen forderten, scheinen Radiohead nach dem auf allen Ebenen Entzug signalisierenden „KicW zumindest einige Kanäle zur Außenwelt wieder zu öffnen. Zum Gespräch über die Musik eilen die Mitglieder der wohl enigmatiischsten aller Rockstar-Kapellen in die Metropolen, selbst der ansonsten so verschlossene Thom Yorke spricht gelegentlich. Mehr noch: Eine recht breit gestreute Live-Präsenz wird inzwischen auch schon angekündigt, darunter die beiden bundesdeutschen „Rock Am Ring“ und „Rock Im Park“-Festivals. Allein die Tatsache, dass man bei solchen Massenveranstaltungen auftreten will, kann man als Beleg für einen Wandel bei Radiohead werten.

Und obendrein scheint ihr neues Werk ^imnesiac“, obgleich zeitgleich mit JCidA“ entstanden, die neue Nahbarkeit auf gespenstische Weise vorweggenommen zu haben – ein Umstand, den Johnny und Colin Greenwood beim angenehm entspannten Promo-Plausch in Berlin so recht auch nicht deuten können.

Bevor es alle anderen tun: Gibt es irgendeine generelle Charakterisierung von „Amnesiac“, die euren Segen hat?

Jonny: Bei „Kid A“ ging es viel um Distanz, um entfernte Landschaften und um Unnahbarkeit, während ,^4mnesiac“ sich um Details bemüht, um Innensein und um geschlossene Räume. Sojedenfalls hat es mir unser Graphiker erklärt – für mich sind unsere Platten immer erst einmal ein totales Durcheinander, ein Chaos, das komischerweise irgendwie Sinn zu machen scheint, (überlegt) Vielleicht sagt man’s am besten so: Wir haben ein Album aufgenommen, aber anstatt es zu veröffentlichen, haben wir einfach weiter gearbeitet und noch eins gemacht. Am Ende haben wir dann versucht, zwei Gruppierungen zusammenzustellen, die irgendwie funktionieren.

Colin: Das ist wie bei einem Fußballverein – wir haben für „Kid A“ eine bestimmte Kombination von Spielern aufs Feld geschickt und dann herausgefunden, dass wir noch ein zweites, echt gutes Team aufstellen können, für ein anderes Match, (reckt die Arme in die Luft) Eine geniale Allegorie, finde ich.

Es gab also nicht von vornherein den Plan, zwei Alben aufzunehmen, die sich substanziell voneinander unterscheiden?

Jonny (eindringlich): Es gibt nie Pläne. Wenn du uns sehen könntest, wie wir in unserem Chaos und in unserer Unordnung arbeiten, würdest du das nicht fragen. Meist steht am Anfang ein Song, und von da aus entwickeln wir die anderen track für track. Bis 40 Minuten im Kasten sind. Sich länger zu konzentrieren, kann man von niemandem erwarten.

Colin: 40 bis 50 Minuten ist die Länge einer durchschnittlichen Autofahrt – dafür wollen wir einen Soundtrack liefern, ein Tape, das man auf der Fahrt von vorn bis hinten durchhören kann.

Klasse Konzept. Und das war schon alles? Colin: Klasse Konzept, ja. Von Thom war kürzlich zu lesen, dass er ein Album nach dessen Fertigstellung nie wieder anhören würde. Hat man so schnell genug von der eigenen Arbeit?

Jonny: Für Thom stimmt das schon mal gar nicht – er läuft überall rum und sagt jedem, wie gern er „Amnesiac“ zu Hause hört und wie toll er’s findet. Letzte Woche hat er’s sogar so laut gehört, dass ihm die Lautsprecher im Auto um die Ohren flogen.

Colin: Ein Album fertigzustellen bedeutet, inne zu halten und aus all der Arbeit einen Sinn werden zu lassen, so… mmh… als ob man ein rotes Band durchschneidet, um eine fertig gebaute Straße einzuweihen und für den Verkehr freizugeben. Erst dann ist die Straße fertig. Aber wenn man das Band nicht durchschneidet, dann baut man ewig weiter. So ist das jedenfalls bei uns.

Es ist ja viel die Rede von der dramatischen Verweigerung, die ihr mit „Kid A“ umgesetzt habt. Was für Befindlichkeiten spiegelt denn nun „Amnesiac“ wieder?

Jonny: Wir haben auch schon vor „OK Computer“ gesagt, dass wir uns von allem abwenden würden. Das sagen wir eigentlich immer.

Colin: Was für Muster erkennst du denn?

Vielleicht das, dass ihr euch nach der demonstrativen Abkehr von allen Standards jetzt auf den halben Weg nach Hause macht?

Colin: Irgendwie ist es wohl so. (sinniert) Doch, doch, das macht durchaus Sinn.

Was natürlich völliger Unsinn ist, wenn man bedenkt, dass ihr die Songs von „Kid A“ und „.Amnes/ac“ gleichzeitig aufgenommen habt…

Jenny: Zumindest wird man sagen können, dass es gut war, „KidA“ zuerst zu veröffentlichen – hätten wir die Alben in umgekehrter Reihenfolge veröffentlicht, hätte uns wohl kaum einer zugehört.

„Kid A“ist oftmals als Trotzreaktion auf die Erfahrungen mit dem plötzlichen Starsein gedeutet worden. Kehrt mit „Amnesiac“ nun der Frieden auch in außermusikalischen Bereichen bei euch ein?

Jonny: Wir sind seit „KtdA“ in vielerlei Hinsicht sehr viel entspannter geworden; wir haben kein so großes Problem mehr mit der Promo und dem entsprechenden Drum und Dran. Und wir haben uns daran gewöhnt, dass die Arbeit an den Alben immer auch mit Reibungen und Spannungen verbunden ist. Das scheint nicht anders zu gehen.

Colin: Und wir haben ein neues Interesse daran entdeckt, an vielen Orten überall auf der Welt unsere Musik zu spielen. Es erwartet ja keiner mehr von uns, die nächsten R.EJVL oder U2 zu werden – dass die Leute sich an uns gewöhnt haben, macht alles etwas einfachen Außerdem sind wir schlicht und einfach älter geworden. Man wird dann ruhiger.

Habt ihr schon irgendeine Ahnung, wie s fortan weitergehen wird?

Jonny: Es gibt noch viele Instrumente, mit denen wir experimentieren, und viele Klänge, die wir erkunden wollen, (denkt nach) Wir dürfen nie vergessen, was es für uns als Musiker bedeutet, eine Band zu haben, die sich spontan in einen Raum stellen und ihre Ideen vergleichweise problemlos realisieren kann. Uns ist das bewusst, und wir wissen das durchaus zu schätzen.

Colin: Viele Fragen bezüglich unserer Musik beantworten sich, sobald man uns live erlebt – man kann dann nachvollziehen, wie unsere Musik entsteht und wie wir als Band funktionieren. Wir selbst sind nach wie vor fasziniert von dem, was da mit uns passiert Ohne diese Erfahrungen hätten wir als Band keine Zukunft.

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