The Strokes

Die Krise der Welt stand noch bevor, meine persönliche war gerade beendet. Im Sommer 2001 blickte ich auf vertane Jahre zurück, geblieben waren eine Reisetasche mit dem Allerwichtigsten – und ein gewaltiger Lebensdurst. Ich war auf der Suche nach ein bisschen Sinn, als mir eine Kopie von „Is This It“ in die Hände fiel. Den ganzen Herbst über hörte ich praktisch nichts anderes. Zum ersten Mal hatte ich im vorangegangenen Frühjahr von den Strokes gehört. Ein kurzer Test, eigentlich nur ein Fetzen, und- in diesem Fall wichtiger! – ein Bild. Die Namen klangen exotisch und ausgedacht: Julian Casablancas, Nikolai Fraiture, Fabrizio Moretti, Nick Valensi, Albert Hammond Jr.. Und die Chucks, die engen Hochwasser-Jeans, die wuscheligen Frisuren hatte ich lange vermisst im Pop. Auch gab es Anfang des neuen Jahrtausends eigentlich keine Bands aus New York. Zumindest keine in der Tradition von Velvet Underground, Television und Richard Hell, die Urväter jener Gitarren-Boheme, auf deren Tradition die Strokes sich beriefen. Wohl aber gab es reichlich Gefühlskitsch von Leuten, die Radiohead falsch verstanden hatten – und virilen Stadion-Post-Grunge ohne Seele und Inhalt. Die Strokes aber sahen so aus und klangen auch so wie die Musiker aus New York, mit denen ich aufgewachsen war. Die Geschichten dieser Leute hatten mich durch meine Jugend begleitet, in jenen Prä-Internet- und Billigflug-Tagen, als New York noch ein unerreichbarer Hort der Sehnsucht war.

Die Strokes waren zugleich retro und hochmodern, die Präzision der Gitarren erinnerte an ein Atari-Spiel, das metallische Polter-Schlagzeug zwar an Moe Tucker, aber zusammen mit der wahnsinnig gelangweilten und sehr coolen Stimme von Julian Casablancas ergab sich ein ureigener Sound, der das Gestern nur belieh, um es im Heute zu neuem Glanz erstrahlen zu lassen.

Im März 2002 spielten die Strokes dann in der Berliner Columbiahalle eines ihrer ersten Deutschland-Konzerte, und es bestand kein Zweifel, dass man Teil von etwas überaus Bedeutendem war an jenem Abend. Wie weiland Lou Reed drehte Casablancas dem Publikum den Rücken zu, und wenn er etwas sagte, verstand man es nicht, weil der Sänger sehr betrunken war. Ein mir unbekannter Arte-Kameramann umarmte mich. Der Mann war um die 30 und hatte feuchte Augen. So ging es vielen – der „pure New York Rock’n’Roll, more joyful and intense than anything eise“, wie der US-ROLLING STONE den Sound der Strokes beschrieb, hat die Gitarrenmusik der folgenden Jahre geprägt wie keine andere Band.

Leider taugt das nichtmusikalische Ereignis des Jahres 2001 nicht für eine Heldengeschichte. Der 11. September kennt keine Gewinner. Es bleibt der Schrecken. Weil wir (und vor allem die Amerikaner unter uns) im Angesicht des Fassungslosen dennoch Helden brauchen, bekamen wir die Feuerwehrmänner und Polizisten. Von denen heute viele krank oder tot sind wegen der gesundheitlichen Folgen ihres damaligen Einsatzes in den staubdurchwehten Straßenschluchten New Yorks.

Vom Anschlag auf das World Trade Center erfuhr ich von Thom Yorke. Radiohead spielten in der Berliner Wuhlheide, wo wir bereits den ganzen Tag verbracht hatten. Es war ein grauer, von Nieselregen aufgeweichter Tag, und vor „Paranoid Android“ erzählte Yorke etwas surreal Erscheinendes von Flugzeugen, die in ein Hochhaus geflogen seien, man wissen noch nichts Genaueres. Und so verkündete also ausgerechnet jene Band das Unfassbare, die mit „Kid A“ im Jahr zuvor am besten die Irrationalität, die Angst und die Unsicherheit der folgenden Jahre vorweggenommen hatte, die jenes Ereignis auslösen sollte. Das neue Jahrtausend hatte endgültig begonnen.

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