The Who – The Who Sell Out

Übermütige Piratenradio- und Konsum-Satire aus dem Jahr 1967

Wenn eine Band jemals de facto pleite war und trotzdem nicht Insolvenz anmeldete, dann die Who circa 1967/68. Beatles, Kinks und Rolling Stones spielten zu der Zeit zumal in Amerika längst in einer ganz anderen Liga, während die frühen Who-Singles und -LPs dort allen Tourneen zum Trotz gnadenlose Flops blieben. So konnte man den Popstar-Lebensstil, den die vier kultivierten, auf Dauer nicht finanzieren. Kit Lambert erklärte Pete Townshend damals kategorisch, er könne sich ja ruhig für ein Genie wie Richard Wagner halten, aber was die Band am dringlichsten brauche, sei endlich ein Hit in den USA und ein Album in den Top Ten dort.

Ersteren – einen Song mit dem Titel „I Can See For Miles“ — hatte er da schon in der Hinterhand. Aber das immer kritische dritte Album erwies sich doch als eine schwere Geburt. Während die Beatles „Sgt. Pepper“in den ersten dreieinhalb Monaten des Jahres 1967 praktisch unter Dach und Fach gebracht hatten, zogen sich die Aufnahmen zu „The Who Sell Out“ in diversen englischen und amerikanischen Studios über sieben Monate hin. Zwischendurch hatte Jimi Hendrix mit der Experience ihnen beim Monterey Pop Festival die Show gestohlen, dann schaffte es die vorab veröffentlichte Single beiderseits des Atlantik gerade mal knapp in die Top Ten.

Ähnlich wie das Album der Beatles mit ihrer Musik für den Ball der einsamen Herzen wies das der Who mehr als nur beiläufig nostalgische Elemente auf. Als das kurz vor Weihnachten 1967 erschien, war es faktisch schon ein Nachruf: auf die Ära der Piratensender in der Nordsee, die am 15. August mit dem Marine Broadcasting Offences Act von Amts wegen beendet worden war. An deren so kurze wie große Zeiten erinnerten die fiktiven Jingles, die (wie „Radio London reminds you: go to the church of your joy!“) als Schmierstoff in diesem Konzept fungierten. Anders als danach bei „Tommy“ hatte Townshend da noch nicht den Ehrgeiz entwickelt, das Projekt als formal schlüssige Erzählung durchzuziehen. Im Frühjahr 1967 hatte er, wie in den Liner Notes zur neuen Deluxe-Edition referiert, zwar noch erklärt, er arbeite an einer Fortsetzung von „A Quick One (While He’s Away))“: an einem Stück in 25 Akten „about a man whose wife dies and he leaves his home and travels and becomes involved in wars, revolutions and gets killed“. Aber aus dieser Idee hat er dann doch kein trübseliges Melodram gemacht, sondern sie bald fallengelassen.

Die satirischen Vignetten über Werbung, mit denen er („It’s smooth sailing with the highly successful Sounds of wonderful Radio London“) oder John Entwistle („Medac“) die neuen Songs zu einer Art Suite verknüpften, erwiesen sich als letztlich überzeugenderes Konzept. Nik Cohn grämte sich damals trotzdem, weil Townshend das für seine Begriffe nicht wirklich konsequent durchgezogen hatte. Bei „Sunrise“ und „Rael“ findet man nachträglich schon etliche musikalische Ideen, die er bei „Tommy“ weiter entwickelte. Bitterböse Satire, die diese ganze Radio Luxemburg-Werbung damals als vulgär desavouiert hätte, hatte Townshend nie im Sinn gehabt. In „Odorono“ singt er ganz im Gegenteil sehr mitfühlend über eine Sängerin, die aus dem Talentwettbewerb nur des falschen Parfüms wegen ausscheidet: „She should have used Odorono…“

Einige Outtakes der Sessions hatte 1994 das Box-Set „Maximum Rhythm & Blues“ der Who präsentiert. Noch mehr davon, darunter auch die Coca-Cola-Jingles, mit denen sich die Band ein wenig dringend nötiges Zubrot verdiente, fand man auf der Remix/Remaster-Version von 1995. Jetzt hat sich Tonmann Jon Astley für die Deluxe-Ausgabe die ganzen Bänder noch einmal vorgenommen, und man darf staunen und sich freuen: Hier findet man „Sell Out“ nicht nur wieder in der korrekten Absolut-Tonhöhe überspielt, sondern mehr als 40 Jahre später erstmals auch wieder den Mono-Mix, bei dem einzelne Aufnahmen teils drastisch von den Stereo-Versionen abweichen. Für „Relax“ wurden ganz andere von AI Koopers Orgel-Takes verwendet. „Odorono“ kommt ohne Chor-Overdubs. Das zweite Gitarren-Solo bei „Our Love Was“ (nach 2:09) hat es beim Stereo-Mix nie gegeben, das ganze „flanging“ der Mono-Abmischung auch nicht. Unter dem halben Dutzend Mixes, die offenbar von „Mary Anne With The Shaky Hand“ existieren, war ausgerechnet die hier auch zu hörende Mono-Version der US-Single viel zu elaboriert, als dass sie ernstlich Hit-Chancen gehabt hätte. „Melancholia“ entfiel bei diesem Set leider ersatzlos, dafür findet man noch mehr unveröffentlichte Songs, weitere Jingles prima remastered und auf der zweiten CD als Zugaben noch mehr Mono-Mixes, bei denen man Entwistle und seine Rotosound Strings sehr prominent im Mix so richtig genießen darf.

Das vielleicht schönste Stück Nostalgie ist hier die frühe Studioaufnahme des „Summertime Blues“ vom 24. Mai 1967 (nicht identisch mit der auf „Odds & 1 Sods“ nachgereichten, unglaublich fulminant musizierten Version aus den CBS Studios vom 28. Juni) – die nur nie in dieses ehrgeizige Projekt passen wollte.

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