Tom Hanks: Der Durchschnitts-Amerikaner mit den ganz besonderen Fähigkeiten

Tom Hanks' großer Vorteil: Wer unauffälliger aussieht, hat die Auswahl unter den meisten Rollen. Kaum ein Schauspieler hat mehr aus dieser nicht unbedingt schmeichelhaften Voraussetzung gemacht. Eine Würdigung.

Möglich, dass Tom Hanks unter den Kritikern mehr Kritiker hat als Fans, aber wer sich einen dieser Kritiker zur Brust nimmt, bekommt immer die Bestätigung, dass der Mann einige unvergessliche Szenen schuf. Dies sind nur die wichtigsten: Sein Abschied für immer, vom geliebten Freund, einem Beachvolleyball („Cast Away“); der Monolog eines Sterbenden, zum Gesang von Maria Callas („Philadelphia“); Captain Millers letzte Worte, „Earn This“ (in „Saving Private Ryan“).

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Zuletzt aber auch sein großer Auftritt als „Captain Phillips“, dem Tanker-Kapitän, der einem Angriff der Piraten standhält, und erst am Ende, nach seiner Befreiung, zusammenbricht. Die meisten seiner Schauspiel-Kollegen würden den Moment vielleicht anders angehen. Man kann sich vorstellen, wie in derartigen Schocksituationen Mel Gibson starrt, oder wie Al Pacino schreit. Captain Hanks aber lässt einen inneren Sturm aufziehen, der nur in Ausläufern an die Oberfläche kommt, obwohl alles bebt. So einen Moment gab es im Kino bislang nicht.

Natürlich muss er Lehrer sein!

Mit über 60 Jahren hat Hanks das wahrscheinlich beste Schauspiel-Alter erreicht, denn jetzt dürften erst recht die ganzen Rollen kommen, die ihm schon immer am ehesten lagen. Immer solche, in denen ein Mann fest im Leben steht, mit Job und Familie, der dann aber aus diesem Leben gerissen wird. In „Saving Private Ryan“ ist Tom Hanks der Anführer eines Bataillons, und als er vor seinen Leuten endlich seinen wahren Beruf auspackt, greift man sich an den Kopf und denkt: Natürlich! Was sonst. Ein Lehrer!

Die Leute schießen sich gerne auf Durchschnittstypen ein, einen wie Tom Hanks, weil sie sich an ihn erinnert fühlen, er irgendwie greifbar ist – aber im Gegensatz zu ihnen ein Star (darum stößt, in der Musik, auch Phil Collins auf Ablehnung). Hanks Vorteil: Wer unauffälliger aussieht, hat die Auswahl unter den meisten Rollen.

Dass er zu Beginn seiner Kino-Karriere in den 1980er-Jahren vor allem in Komödien spielte, hätte ihm fast das Genick gebrochen. „Splash“ war zwar ein Hit, „Scott & Huutsch“ auch, natürlich „Big“, das ihm das sogar eine Oscar-Nominierung einbrachte. Aber Hanks war da eigentlich längst totgestempelt, als der große Junge und Schwiegersohn.

Tom Hanks in "Philadelphia", 1993
Tom Hanks in „Philadelphia“, 1993

In den Neunzigern dann der Ausbruch, gleich in seine erste Drama-Rolle warf Hanks alles, was er hatte. Regisseur Jonathan Demme besetzte 1993 ausgerechnet ihn in „Philadelphia“, dem ersten ansatzweise ohne Scheuklappen auskommendem Versuch, im Hollywood-Kino von Aids bei schwulen Männern zu erzählen.

Hanks kämpfte für die Besetzung als Andrew Beckett, für den zuerst Daniel Day-Lewis, dann Michael Keaton, William Baldwin und schließlich Andy Garcia vorgesehen waren. So mutig in der Rollenwahl war Hanks nie wieder, und er erhielt den Oscar als „Bester Hauptdarsteller“, und im folgenden Jahr für „Forrest Gump“ erneut. Ein Doppelschlag, dem bisher nur Spencer Tracy 1937 und 1938 gelang – wieder eine Verbindung zur Goldenen Ära von Hollywood, mit Schauspielern, in deren Gesellschaft sich Hanks wohl gefühlt hätte.

Die Crux mit der Pralinenschachtel

Nach „Philadelphia“ konnte der 37-Jährige sich die Filme aussuchen, er war fortan erste Wahl. Die Drehbuch-Umsetzung von Winston Grooms Roman „Forrest Gump“ soll er nur zur Hälfte gelesen haben, dann stand die Entscheidung. Die Rolle des Gump ist bis heute Hanks populärste, die, mit der ihn Fans bis heute am häufigsten zitieren.

Es ist eine Tradition unter Schauspiel-Größen, Menschen mit Behinderung zu spielen, weil die bestandene Herausforderung fast immer zu Lob und Preisen führt. Hanks konnte sich nicht ganz frei davon machen, seinen geistig zurück gebliebenen Forrest eher als eine Art Mann ohne Sorgengedächtnis zu interpretieren (so, wie man auch darüber streiten kann, ob Dustin Hoffmans Autist in „Rain Man“ weniger wie ein Mensch mit Entwicklungsstörung wirkt, als wie ein scheu erscheinendes Genie). Hanks‘ auch körperlicher Kraftakt war für eine Auszeichnung wohl stark genug.

Den dritten Oscar aber, diesmal für Robert Zemeckis „Cast Away“ (2000), verweigerte man ihm mit Ansage. Denn mit einer zu offensichtlich nach Belohnung schreienden Transformation lässt sich die Academy nicht ködern: Für die Rolle eines Handlungsreisenden, der auf einer einsamen Insel strandet, nahm Hanks während der Dreharbeiten fast 30 Kilogramm ab.

Tom Hanks mit Wilson in "Cast Away" (2000)
Tom Hanks mit Wilson in „Cast Away“ (2000)

Ab den Nullerjahren segelte Hanks in überwiegend sicheren Gewässern. Er spielte nach „Saving Private Ryan“ in weiteren, eher soliden Spielberg-Filmen mit („Catch Me If You Can“, „Terminal“, „Bridge Of Spies“), erfand für das Coen-Remake von „Ladykillers“ einige Manierismen, war darin sogar wieder lustig.

Seine Begeisterung für Tom Tykwer ist bemerkenswert („Cloud Atlas“, „Ein Hologramm für den König“), und selbst im Blockbuster-System der sicheren Fortsetzungen hat er einen Platz gefunden. In den Verfilmungen des Mythen-Quatschs von Dan Brown verkörpert er zum dritten Mal den Robert Langdon, in diesem Jahr in „Inferno“. Dafür ließ Hanks sich gar eine Helden-Frisur zurechtlegen, also eine, die nie wackelt.

Tom Hanks versuchte nie sein Image des All American Man zu bekämpfen, flüchtete sich in Interviews nie in Zynismus. „Möge man so lange leben, wie man will“, sagte er stattdessen, „und nicht etwas ganz Bestimmtes wollen, so lange, wie man lebt.“ Dabei hat er im Leben die besten Gelegenheiten ergriffen; es bietet einem doch mehr Freiheiten, als der „Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man bekommt“-Spruch aus „Forrest Gump“ einem weismachen will.

„Man weiß nie, was man bekommt“? Man hat eben doch, das bewies Hanks, die Wahl. Immer.

Alles Gute zum Geburtstag!

Twitter:@sassanniasseri

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