Tom McCarthy – „Ein guter Autor hat nichts zu sagen.“

Kritiker sehen in dem britischen Schriftsteller Tom McCarthy die Zukunft der Literatur. Sein furioser dritter Roman "C" erscheint jetzt auf Deutsch.

Die britische Schriftstellerin Zadie Smith erklärte 2008 in einem Essay für den „New York Review of Books“, der zeitgenössische Roman befinde sich in einer Existenzkrise. Immer noch setze er auf den sogenannten Realismus des 19. Jahrhunderts, auf alte Konzepte von Authentizität und Subjektivität, die auf die Welt, in der wir heute leben, nicht mehr recht passen wollen. Einen Ausweg aus dem Dilemma fand sie in „Remainder“ (dt. „8 1/2 Millionen“), dem ersten Roman des Londoner Autors und Konzeptkünstlers Tom McCarthy. Die absurde, mit poststrukturalistischer Theorie gefütterte Geschichte eines nach einem Unfall stark traumatisierten Mannes, der versucht, mit dem beträchtlichen Schmerzensgeld seine langsam zurückkehrende Erinnerung in die Realität zu setzen, gehöre zu den besten britischen Büchern der letzten zehn Jahre, schrieb Smith. Sie gebe den Blick frei auf einen neuen Weg, der den Roman vorwärtsbringen könnte.

McCarthy schien das Versprechen, das er mit „Remainder“ gegeben hatte, 2010 mit seinem dritten Roman „C“ einzulösen. Der ambitionierte Text wurde von der Kritik fast einhellig gelobt und für den renommierten Man Booker Prize nominiert, der Autor als Pionier gefeiert, der der Literatur ein neues Territorium erschlossen habe. Das fand er seltsamerweise in der Vergangenheit. Am Beginn des 20. Jahrhunderts, um genau zu sein. „C“, auf den ersten Blick eine Art Bildungsroman, berichtet vom kurzen Leben des Serge Carrefax. Er wird 1898 auf einem englischen Landsitz geboren und beginnt sich in frühen Jahren für die Funktechnologie zu interessieren. Seine ältere, den Naturwissenschaften zugeneigte Schwester Sophie, zu der er eine Art inzestuöses Verhältnis pflegt, begeht mit 17 Selbstmord. Serge verfällt in tiefe Melancholie, distanziert sich innerlich von der Welt, kundschaftet unter Kokain und Heroin als Funker eines Aufklärungsflugzeugs im Ersten Weltkrieg deutsche Stellungen aus, erlebt das Swinging London der Zwanziger, und findet schließlich nach einem a tergo in einer ägyptischen Grabkammer sein Ende auf dem Nil. McCarthy erzählt die einschneidenden Erlebnisse im Leben seines Helden fast beiläufig. Sein Interesse gilt vor allem dem technischen Fortschritt und den Apparaturen, den Kommunikationsnetzwerken und Übertragungen, den Verformungen der Sprache und der Psyche. Nun erscheint dieser große Roman in der kenntnisreichen Übersetzung von Bernhard Robben endlich auch in deutscher Sprache – unter dem Titel „K“ .

Der Buchstabe „C“ ist grundlegend für Ihren Roman – als chemisches Zeichen für Kohlenstoff, als Symbol für ein Jahrhundert … In der deutschen Übersetzung heißt das Buch nun „K“. Wie kam es dazu?

Ich hatte eine umfangreiche Korrespondenz mit meinem Übersetzer, und er hat mich überzeugt, dass fast alle Wörter, die in dem Roman eine Rolle spielen – Kohlenstoff, Kokain, Kommunikation, Krypta, Katakombe, Kopie – im Deutschen mit „K“ beginnen. Das Buch ist schwer zu übersetzen, weil ich es als eine Reihe von linguistischen Mutationen angelegt habe. William S. Burroughs hat die Sprache mal als einen Virus bezeichnet, dieser Gedanke war mir wichtig beim Schreiben.

Natürlich muss man bei „K“ gleich an Kafka denken. Sie spielen ja auch mit Motiven aus seinen Werken. Er ist aber nur einer von vielen deutschsprachigen Autoren, auf die Sie in hier Bezug nehmen. Thomas Manns „Zauberberg“ wird zitiert, dann Hölderlin, Trakl …

Sigmund Freud, Ernst Jünger, Robert Musil – ja, das ist mein deutscher Roman. (lacht)

Sie haben mal eine Zeit lang in Deutschland gelebt, oder?

Am Prenzlauer Berg. 1994 – bevor dort alles saniert wurde. Damals konnte man noch die Einschusslöcher an den Häusern sehen. Berlin war wie ein Mausoleum, ein Querschnitt durch verschiedene Schichten von Geschichte sozusagen.

Das gilt für Ihren Roman auch – man schaut beim Lesen in die Literaturgeschichte, man erkennt Splitter von Ovid und von Shakespeare, man sieht die Ruinen und Gräber von Alexandria, wo die Schrift ihren Ursprung hat. Das Buch besteht aus mehreren Schichten. Manchmal hat man das Gefühl, man befinde sich gerade in zwei Texten gleichzeitig.

Absolut. Ich nenne das literarische Übertragung. Kafka hat mal gesagt: „Ich habe nichts zu sagen.“ Das gefällt mir. Ich bin in der Tat der festen Überzeugung, dass ein guter Autor nichts zu sagen hat. (lacht) Es geht nur darum, zuzuhören und alles Gehörte neu zu mischen. Ich wollte einen Literatur-Remix machen, in dem nicht nur Figuren der Moderne wie Filippo Marinetti, James Joyce und Franz Kafka widerhallen, sondern auch ältere Texte aus der Renaissance oder der Antike. Mein Roman ist wie eine kannibalistische Orgie, bei der die Autoren sich gegenseitig auffressen und verdauen.

„K“ ist also auch als eine Art Manifest zu verstehen, das für eine bestimmte Vorstellung von Literatur und Ästhetik von Romanen eintritt?

Könnte man so sagen. Meine Vorstellung von Literatur findet sich schon recht zu Beginn des Romans, wenn Serge 14, 15 Jahre alt ist und vor seinem Empfänger sitzt, sich durch die Funkfrequenzen wählt und aufschreibt, was er da hört – Signale von Schiffen auf hoher See, Nachrichten, Sportergebnisse, zwei Männer, die eine Schachpartie spielen. Das ist mein Bild eines Schriftstellers – er empfängt und remixt. Serges Transkript sähe wahrscheinlich ähnlich aus wie ein „Canto“ von Ezra Pound.

Serge empfängt nicht nur. Er sendet auch. Im Ersten Weltkrieg ist er Funker in einem Aufklärungsflugzeug. Eine Art Engel der Geschichte.

Man könnte sagen, er ist wie ein Prisma, das das Licht einfängt und bündelt. Das Licht einer ganze Epoche.

Aber in dieser Epoche steckt mehr drin als nur die 24 Jahre erzählter Zeit – alle folgenden Konflikte, alle technischen Neuerungen und wissenschaftlichen Revolutionen sind da schon angelegt. Sie beschreiben einen Möglichkeitsraum, der dann durch den Ersten Weltkrieg geöffnet wird wie die Büchse der Pandora.

Ich habe zur Recherche einige Ausgaben der Zeitschrift „Wireless World“ gelesen, das ist so eine Art „Wired“ des frühen 20. Jahrhunderts. Da finden sich schon die gleichen Debatten, die in den Neunzigern zum Internet geführt wurden. Die Radio-Aktivisten sagen: „Wir wollen nicht kontrolliert werden, weder von der Regierung noch von irgendwelchen Unternehmen. Das soll ein demokratisches Medium sein.“ Natürlich haben sie verloren, 1922 wurde die BBC gegründet – und später kam Murdoch. Und, ja, alles begann mit dem Ersten Weltkrieg.

Sie zeigen in dem Roman, wie sehr Krieg und Fortschritt zusammenhängen. Der im vorigen Jahr verstorbene Kulturwissenschaftler Friedrich Kittler hat dazu mal einen Essay mit dem Titel „Rockmusik – ein Missbrauch von Heeresgerät“ geschrieben.

Kittler habe ich leider erst gelesen, als ich „C“ schon abgeschlossen hatte. Ich stimme mit seiner Ablehnung des Humanismus vollkommen überein: Mensch und Technologie lassen sich nicht mehr trennen. Der Fortschritt hat humanistische Konzepte von Identität und Existenz und Subjektivität erschüttert.

In vielen Romanen steht immer noch die gute alte Innerlichkeit im Vordergrund, die – wie Gottried Benn schrieb -„ihre Kinder dusslig halten“ will.

Ja, grässlich. Sentimentales Zeug. Ausgangspunkt eines Romans müssen die Medien sein – oder die Materie. Bei Joyce ist das zum Beispiel immer so. Und schon in der griechischen Tragödie kann man das finden – die „Orestie“ von Aischylos beginnt mit dem Leuchtfeuer, das den Fall Trojas verkündet. Da ging es also bereits um Medien und Nachrichten. Das Problem ist, dass große Teile der zeitgenössischen Literatur all das ignorieren und so tun, als ob wir unabhängig von den Medien existierten. Das ist falsch und auch nicht besonders interessant.

Milan Kundera ist der Meinung, der Roman sei irgendwann falsch abgebogen, habe versäumt, den spielerisch abschweifenden Weg von Laurence Sterne weiterzuverfolgen und sich stattdessen zu sehr von Wahrscheinlichkeit, Chronologie und realistischen Details gefangen nehmen lassen.

In jeder Epoche war die langweilige, einfachste Literatur zugleich auch die erfolgreichste – aber nicht unbedingt die, die bis heute überdauert hat. Von Kafkas „Verwandlung“ sind im ersten Jahr elf Stück verkauft worden – und zehn davon hat er selbst gekauft. Aber wer kann sich heute noch an die kommerzielle geschmäcklerische Literatur von 1914 erinnern, als die „Verwandlung“ publiziert wurde? „Ulysses“ ist in einer Auflage von 1.000 Stück erschienen, 300 davon wurden gleich vom britischen Zoll wegen angeblicher Obszönität verbrannt. Die Literatur, die bei Sterne ihren Ursprung hat – die gute Literatur also -, war in ihrer Zeit immer die weniger erfolgreiche, weniger gefeierte, aber sie hat die Zeit überdauert. In 50 Jahren wird es unserer zeitgenössischen Literatur genauso gehen. Der Mainstream wird verblassen.

„K“ von Tom McCarthy erscheint bei der Deutschen Verlags-Anstalt (DVA) und kostet 24,95 Euro. Sein erster Roman „8 1/2 Millionen“ ist nun als Taschenbuch (Diaphanes, 12 Euro) erhältlich, sein zweiter, „Men In Space“, liegt leider noch nicht in deutscher Übersetzung vor.

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