TV-Fußnoten

„Transparent“-Regisseurin Jill Soloway über die zweite Staffel

Wie geht es weiter bei der außergewöhnlichen Transgender-Serie, die 2015 einen Emmy und zwei Golden Globes gewann?

Am 11. Dezember läuft bei Amazon die zweite Staffel von „Transparent“ an. Wir haben Autorin/Regisseurin Jill Soloway und Joe Lewis, den Head Of Comedy bei Amazon Studios, gefragt, wie es weitergeht mit den Pfeffermans, nachdem sich Morton (Jeffrey Tambor) in der ersten Staffel als transsexuell geoutet hat und nun als Maura von seinen hilflosen bis egozentrischen Kindern einigermaßen akzeptiert wird. Sicher ist: Einfacher wird das Leben aller Familienmitglieder nicht. Sicher ist auch: Es wird trotz aller Tragik wieder viel zu lachen geben.

Was passiert in der zweiten Staffel?

Soloway: Wir gehen tiefer, wir werden wilder. Wir wollen, dass die Serie noch mehr Leute für sich einnimmt. Dass sich jedes Familienmitglied mit einer der Figuren identifizieren kann. Und wir haben einen Handlungsstrang, der in Berlin um 1930 spielt, in dem es um Mauras Vorfahren geht. Es geht also auch um die allgemeine Geschichte von Trans-Menschen. Es geht um Feminismus. Um die Frage, was Frau-Sein überhaupt ist. Wir greifen die größten Fragen auf, die es auf der Welt gibt.

Inzwischen ist sogar schon eine dritte Staffel bestellt. Haben Sie die auch schon im Kopf?

Soloway: Nicht ganz. Sie entwickelt sich noch, wir schreiben gerade in L.A. daran. Ich habe auch noch Ideen für weitere Staffeln im Kopf – ich denke mir ständig etwas aus, beim Aufwachen, beim Duschen, beim Autofahren. Es ist fast so, als würde ich die Pfeffermans hören, sie erzählen mir ihre Geschichten.

Wie groß ist der Druck, wenn die erste Staffel so erfolgreich war?

Soloway: Gar nicht so groß. Ich war so mit dem Tagesgeschäft beschäftigt, wir wollten einfach das Beste daraus machen. Wenn man so viel Liebe und Anerkennung bekommt, wenn man all die kreative Freiheit hat – dann ist die wichtigste Frage: Wie nutzt man das am besten aus?
Ich habe letztes Jahr den schwedischen Film „Höhere Gewalt“ gesehen, da wurde ich neidisch und dachte: Warum kann ich nicht so einen Film machen? Und dann fiel mir auf: Ich kann doch machen, was ich will! Also ist die erste Folge der zweiten Staffel eine kleine Hommage an „Höhere Gewalt“ – sie spielt in einem Resort, und es gibt eine Wetterkatastrophe.

Gab es bei Amazon anfangs auch Zweifel? Dass man zu viel riskieren könnte mit einer Serie, deren Hauptfigur transsexuell ist?

Lewis: Wenn man Angst vor etwas hat, ist das ein sicheres Zeichen, dass man es versuchen sollte, weil es das Risiko wert sein könnte. Man braucht nur die richtigen Leute, denen man vertraut. Jill war bereit dafür, sie hat sich lange darauf vorbereitet, hat schon viele Piloten geschrieben. Sie hat den Ball fest in der Hand und weiß, wo sie damit hinrennen will – um mal eine sehr männliche Sportmetapher zu benutzen.

Soloway: Du wolltest sicher sagen: „Hat eine Vagina und weiß, wo sie damit hinrennen will.“
Das Gute bei Amazon war, dass ich wusste: Wenn der Pilot nicht angenommen wird, dann bekomme ich das Material zurück und kann notfalls immer noch einen Film daraus machen. Das Warten, ob man in Serie gehen darf, ist zwar nervenaufreibend, aber lange nicht so sehr wie bei einem Sender, wo nur fünf Verantwortliche entscheiden – statt wie bei Amazon das Publikum.

Wann wussten Sie, dass Sie diese Serie machen wollen?

Soloway: Buchstäblich 30 Sekunden, nachdem mein Dad sich als trans geoutet hatte. Dann dauerte es ein Jahr, bis ich mit dem Schreiben anfing, aber ich wusste sofort: Das wird eine Fernsehserie! Das Gefühl kennen doch viele Leute: dass man denkt, die Familie verhält sich wie im Film. Als Regisseurin fällt einem die Umsetzung natürlich leichter!

Wie entwerfen Sie die Figuren, gibt es einen Leitfaden, an den Sie sich halten?

Soloway: Was die Familienkonstellation angeht, mag ich die Idee des „ring of light“ – eine Art Rettungsring, an dem sich alle festhalten. Sie haben alle diese Geheimnisse und stehen also eigentlich im Dunklen, aber sie halten sich an einem unsichtbaren Lichtring fest, an ihrer Familie. Ständig bewegt sich alles, der Ring, die Figuren, die Lebensbedingungen, alles. Erst mag man den einen, dann die andere – und man kann sich nie sicher sein, wie es morgen sein wird.

Jeffrey Tambor sprach bei den Emmys von der großen Verantwortung, die er in seiner Rolle spürt. Geht es Ihnen beim Schreiben genauso?

Soloway: Natürlich. Wir wollen alles richtig machen. Da stehen Leben auf dem Spiel. Es geht um Leute, die sich noch verstecken, aber die Wahrheit sagen wollen. Und natürlich darum, wie wir damit umgehen. Um Freiheit, um Verständnis.

Lewis: Es ist die Aufgabe der Kunst, bei gesellschaftlichen Veränderungen voranzugehen, während in der Politik immer erst ein Konsens gefunden werden muss – und das dauert, manchmal zu lange. In den USA darf man immer noch in 32 Bundesstaaten Trans-Menschen diskriminieren, das ist schrecklich. Aber wenigstens gibt es jetzt diese Fernsehserie, die sagt: Ihr dürft das. Ihr müsst nicht perfekt sein, Ihr seid auch so okay. Macht, was Ihr wollt.

Soloway: Normalerweise steht im Mittelpunkt einer Serie ja meistens ein heterosexueller weißer Mann, der die anderen, die nicht so sind, beurteilt. Der sich wundert, sich lustigmacht, sie heiß findet, was auch immer. Die „Anderen“ – ob schwul, trans, Frauen, Juden, egal was – sind meistens das Objekt, während sie bei uns das Subjekt sind, wir nehmen ihre Perspektive ein.

Ist „Transparent“ wirklich eine Comedy?

Soloway: Naja, wenn man sich die Emmys und Golden Globes anschaut – sollten wir da mit „Game Of Thrones“ oder „Homeland“ konkurrieren? Nein, also ja, dann sind wir Comedy. Wir haben nicht diese furchtbaren Lach-Schleifen und bringen nicht am laufenden Band Witze, aber wir sind eine Art Comedy. Es gibt bei jeder Episode viel zu lachen.

Was sollen die Zuschauer mitnehmen, nachdem sie „Transparent“ geguckt haben?

Soloway: Ich freue mich, wenn die Leute sagen, sie fühlen sich von der Serie umarmt. Wenn sie plötzlich ihre Familie wieder sehen wollen, auch wenn die überhaupt nicht perfekt ist. Wenn sie merken: Die Familie kann unser sicherer Ort sein, wenn die Antwort auf die Frage „Liebst du mich trotzdem noch?“ ein lautes, unbedingtes „JA!“ ist.

 

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