Travis: Zu Gast bei der Rolling Stone Road Show

Mit feinen Songs und großartiger Musik avancierten Travis in der Heimat zur No.l-Band. Einzig ihre demonstrative Bescheidenheit und der Mangel an Hype irritieren die Medien noch, doch das mindert nicht ihren Ruhm als derzeit erfolgreichste Rockband Britanniens. In Glasgow wurden die Unprätentiösen kürzlich beim Homecoming von 3000 Freunden, Fans und Pop-Kritikern frenetisch gefeiert - demnächst treten sie in deutschen Hallen auf.

s war eine denkwürdige i Nacht in Glasgow an diesem 5. Oktober. Die City, sonst schnell entvölkert, wenn die Pubs dichtgemacht haben, brummte bis in den frühen Morgen. Und anderntags bemühten die Blätter bei der Berichterstattung über die beiden Events des Vorabends so oft das Wörtchen „triumphal“, als hätte das eben erst installierte schottische Parlament zugleich die Steuern halbiert und den Preis für Malt Whisky. So trunken und beschwipst waren die Kommentare. Dabei war, bei Lichte betrachtet, nichts wirklich Weltbewegendes geschehen. Im Ibrox Park hatten Schottlands Kicker die Auswahl von Bosnien-Herzegowina geschlagen und sich damit Playoffs mit dem Mutterland des Fußballs eingehandelt. Fett chance. Während zwei Meilen stadteinwärts eine kleinere, jedoch keineswegs weniger frenetische Menge im Barrowlands die Heimkehr ihrer musikalischen Heroen gefeiert hatte. Rewind. Der Backstage-Bereich des Barrowlands füllt sich langsam. Draußen auf der Bühne lässt Travis-Drummer Neil Primrose Geduld und Akkuratesse walten beim Tunen seines Schlagzeugs, Gitarrist Andy Dunlop und Bassist Dougie Payne sprechen ins Mikro einer BBC-Reporterin, Fran Healy gibt zur Klampfe und allgemeinen Erheiterung einen skurrilen Song zum Besten, den er auf einem obskuren Dylan-Bootleg gefunden hat, indes immer mehr Menschen hereinströmen. Verwandte und alte Kumpels zumeist, die – will man ihnen glauben – nie auch nur vom Hauch eines Zweifels angekränkelt waren, Travis könnten eventuell nicht groß herauskommen. Familie und Freunde, sooo stolz. Frans Mutter und Tante strahlen um die Wette, seine Freundin Nora knipst die ausgelassene Schar. Und dabei hat noch keiner, die Band eingeschlossen, eine Vorstellung davon, was sich in den nächsten beiden Stunden abspielen wird. Ein rundes halbes Jahr ist es erst her, seit Travis zuletzt hier spielten. Damals war ihr Album „The Man#^o“geradewegs in die Top-10 geschossen. Ein schöner Erfolg, ganz ohne Hype zudem. Doch was dann passiert, ist in diesen Tagen ohne Beispiel: Die LP purzelt die Charts-Leiter nicht hinunter wie etwa die letzten von Blur oder Pulp. Nein, zuerst hält sich „TheMan fVho“ui der Gunst der Plattenkäufer etliche Wochen auf hohem Niveau, dann beginnt das Album zu steigen und sich zu einem Monsterseiler zu entwickeln. Number One, Platin, Doppel-Platin, Triple-Platin. Und immer noch Top-10. Ein Phänomen, für das auch langjährige Biz-Beobachter keine rechte Erklärung haben. Was dem Fan unmittelbar einleuchtet, muß dem an Marketing-Konzepten und Image-Kampagnen geschulten Charts-Analytiker wie ein Wunder erscheinen. „Out of nowhere“ seien Travis gekommen, klagt das Branchenblatt „Music Week“, wo man sich noch nie um Musik geschert hat, dafür aber ein beinahe erotisches Verhältnis zum „Produkt“ pflegt. Sofern es erfolgreich ist. „Prognosen“, liest man weiter, seien bei Travis schwierig, solange man nicht ermittelt habe, was genau hinter ihren sensationellen Verkaufezahlen stecke. Rührend die Kapitulation des Entertainment-Magazins „Heat“, wo nach Monate langem Suchen nach den Ingredienzien des Travis-Appeals endlich die „Geheimformel“ entschlüsselt wurde: „it must be the songs.“ Songs, die hymnische Dimensionen annehmen, wenn sie nicht soulful und emphatisch von Fran Healy allein gesungen werden, sondern aus 1000 Kehlen gen Hallendach driften und von dort zurückgeworfen werden. Das Publikum im Barrowlands ist durchaus gemischt, doch sind es die weiblichen Teenager, die den Abend so unvergesslich machen. „Das war unser bester Gig“, keucht ein völlig aufgelöster Fran Healy unmittelbar danach, „it was fuckin‘ awesome“. Und die anderen nicken nur erschöpft. Eine Woge der Begeisterung war ihnen entgegengeschwappt, bevor sie noch den ersten Ton gespielt hatten. Eine Woge, die den Ausdruck kindlichen Staunens auf die Gesichter der Musiker zauberte, auf der die Jungs dann aber mit stupender Sicherheit surften. Spätestens, als ihnen dämmerte, dass dieser Mädchenchor, der gleich zu Beginn „All I Want To Do Is Rock“ zum Orkan schwellen ließ, nicht mehr abebben würde. Nicht, solange Fran Healy neue Songs anstimmte. 20 davon wurden zelebriert, jede Zeile mit geschmettert „Why does it always rain on me“, tirilierte es, „is it because I lied when I was seventeen?“ Hey, kein Problem. Man singt 17 – und denkt 14. Das Gefühl ist dasselbe. Erst bei der zweiten Zugabe kommen die Fans etwas ins Stocken, als Fran und Dougie einen Song zum Vortrag bringen, der offenbar kein Healy-Original ist und dennoch irgendwie verdammt vertraut. Fast eine Minute dauert es, bis das Lied erkannt und von einigen Mutigen mitgesungen wird: „Baby One More Time“, ohne Disco-Fummel und Synchron-Drill, skelettiert bis auf die Substanz. „It’s just a great song“, stellt Healy hinterher fest Und wer sich für zu cool hält, dieser schlichten Wahrheit folgen zu können, ist ebendas: zu cool. Also blöd. Ganz unumstritten ist das Spears-Cover freilich nicht, gerade bei den jüngsten Travis-Verehrerinnen. „Franny’s such a darling“, verkündet eine unter Tränen und fügt trotzig hinzu: „But I still hate Britney.“ Auch Britanniens Pop-Journaille ist mit sich uneins, wenn es um Travis geht. Gute Musik und feine Songs, so der Tenor, sind einfach nicht genug. Wobei man natürlich die Eigeninteressen im Auge hat Mit einer Band, die nichts Schrilles hat, keine Skandale verursacht und nicht einmal verbal über die Konkurrenz herzieht, lassen sich schwerlich Auflagen steigern. Weshalb Oasis ein Gottesgeschenk war für die einschlägigen Gazetten. Auf die Gallaghers war stets Verlaß. Kein Tag ohne Knüller. War Liam unpässlich, sprang der Noel in die Bresche. Seit die beiden Rabauken nur noch aus dem Studio kommen, um Kinder zu kriegen, ist Schluß mit lustig. Und Ersatz ist nicht in Sicht Der Manics-Pomp macht nicht mehr viel her, die stereotypen Stereophonics sind so laut wie langweilig, und was Leftfield oder die Chemical Brothers privat tun und lassen, interessiert nicht einmal die Leute, die ihre Platten kaufen. Gut, dass wenigstens Robbie Williams keins der Fettnäpfchen, die man ihm hinstellt, auslässt Aber Travis? Der Sänger gibt zu Protokoll, es sei ja schön, viele Platten zu verkaufen, aber viel wichtiger sei ihm, dass seine Songs ins kollektive Bewußtsein der Bevölkerung sickern, dass sie in Pizza-Läden laufen und dort von Menschen mitgepfiffen werden, die gar keine Tonträger kaufen. Nein, das Schicksal der Musikindustrie liege ihnen nun wirklich nicht am Herzen, deren einzige relevante Aufgabe bestehe doch nur darin, Relais-Station zu sein zwischen Künstler und Hörer. Äußerungen dieses Kalibers mögen durchaus geeignet sein, Produktmanager in den Freitod zu treiben. Die Presse kann damit freilich nichts anfangen. Und so schickt der NME seinen bestallten Berserker Steven Wells nach Glasgow, um das evasive, Image-abweisende Quartett abzustrafen. Das kann Swells, wie er von Freund und Feind ob seines allzeit geschwollenen Halses gerufen wird, wie kaum ein anderer. Nach viel einerseits („breathtakingly beautiful“) und andererseits („no sex appeal“) holt Swells zum Rundumschlag aus und spricht jeder Band die Existenzberechtigung ab, die es wagt, Musik zu machen ohne „anger, ambition, politics, conviction, righteousness, idealism, fury, bile, balls, bottle or manifestos“. Allen voran Travis. Fran Healy, darauf angesprochen, zeigt sich amüsiert „Dieses Gefasel ist doch ohne Bedeutung und fällt am Ende auf den zurück, der es in die Welt setzt“ Ben Knowles, der Mann vom „Melody Maker“, nahm den Glasgow-Gig ganz anders wahr. „Exhilerating“ und „thrilling“ sei die Musik gewesen, die Zuhörer „a totally-insane-for-it-crowd“. Was nebenbei die seit „Wonderwall“ im Raum stehende Frage beantwortet, wie man madfar it steigert. Madderfor it, totally insanefar it. Trifft jedenfalls zu auf das Publikum: „…and what’s a wonderwall anyway?“ Euphorisierend ist dieser Lärm, wenn dann die elektrisch verstärkten Booms von der Bühne mit den hellen Stimmen der Fans in einander verschmelzen. Eine spontane Synergie, nicht reproduzierbar. Wie es überhaupt diese magischen Momente sind, die Travis abheben von allen anderen aktiven Bands auf dem Planeten Pop. Healys ans Vers-Ende angehängtes „aaaah“ in „More Than Us“, ein Ton aus tiefem Herzen, voller Innuendo und doch interpretierbar. Resignation schwingt darin, aber auch Hoffnung. Und Schmerz. Heute ist Fran im Glück. 20 Minuten vor dem Auftritt hatte er sich zurückgezogen in eine Ecke des spartanischen Umkleideraums, hatte sich abgeschottet von dem tumultarischen Treiben backstage, den Kopf auf den Knien, die Augen geschlossen. Ein paar Akkordfolgen, lügt er später lachend, seien ziemlich tricky, und da müsse er sich halt entsprechend einstimmen. Was sein Gesicht indes auch verrät, ist eine innere Anspannung, die wenig zu tun hat mit dem Lösen von Saitenrätseln. Der 6. Oktober ist vier Stunden alt, Nora hat Geburtstag. Von der Aftershow-Party geht es ins Hotel. Im Tourbus werden bescheidene Per Diems an die Band-Mitglieder verteilt Morgen also Dundee, dann Aberdeen, Newcastle._ die Tour de Force. Sämtliche UK-Dates, bestätigt der Tourmanager, seien ausverkauft. Die Tickets für zwei Barrowlands-Zusatzkonzerte zu Weihnachten waren in knapp 45 Minuten vergriffen. „It’s good to know that you are home for Christmas“, heißt es in „Writing To Reach Ybu“, „it’s good to know that you are doing well.“ Zum Zerfließen schön. Und doch nur halb so genialisch-eingängig wie,,Flowers I n The Window“, ein neuer Healy, den sein Schöpfer privat zur akustischen Gitarre vorstellt. Eine Melodie, die sofort Wurzeln schlägt. Wie ein Folk-Standard. The man who writes evergreeris. Wolfgang Doebeling ROAD SHOW

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