Tunesien / Jan Jekal

„A Night in Tunisia“ vom Charlie Parker Septet

Der Trompeter Dizzy Gillespie nannte seine Komposition zuerst „Interlude“. Gerecht wurde er der nervösen Energie seines Bebop-Meisterstücks damit nicht: Die Akkorde wechseln im Halbton hin und her, schaffen eine Spannung, eine mysteriöse Stimmung, die sich nie ganz entlädt, selbst in den heftigen Soloausbrüchen nicht. Die Bläser beschwören ferne Orte herauf, reizvoll und ein wenig unheimlich, grooven über dem afro-kubanischen Rhythmus wie der Soundtrack eines Spionagefilms, ein Bond-Song avant la lettre. Der finale Name kam dann, so Gillespie, von „irgendeinem Genie“, das diesen ominösen, mitreißenden Vibe als „A Night in Tunisia“ bezeichnete.

Es gibt viele besondere Interpretationen dieses Standards – Gillespies, Lee Morgans –, die definitive ist die vom Charlie Parker Septet. Im März 1946 nahm Parker mit seinen Musikern, unter ihnen der 19-jährige Miles Davis, das Stück auf. Von den ersten Noten an, den Unisono-Läufen von Gitarre und Klavier, entfaltet es seine mysteriöse Stimmung; die dumpfen Trommeln, die schräge Trompetenfigur, die Ekstase, der Rausch.

Das Tunesien des Stücks ist ein Sehnsuchtsort, eine in Musik verwandelte Idee; Gillespie hatte nie eine Nacht in Tunesien verbracht. Natürlich wäre die Komposition auch als „Interlude“ ein fantastisches Stück Musik, aber einen kleinen Teil ihres Reizes hätte sie vielleicht doch verloren. „A Night in Tunisia“ wird so zum Versprechen, zum Abenteuer, einer reizvollen Reise – nicht zuletzt, wenn man das Lied im Berliner Winter hört.

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